In Karnevalszeiten geht es in Deutschland lustig zu. Brave Bürger verkleiden sich als Cowboy oder Clown, Banker lassen sich die Krawatten abschneiden und Gräfinnen knutschen mit Fensterputzern. Doch während der Erwin der Heidi von hinten an die Schulter fasst, zieht auch die politische Polonäse weiter - mit allen Risiken und Nebenwirkungen, die im bizarren bundesrepublikanischen Reizklima schon das ganze Jahr über wuchern.
Bestes Beispiel ist das Thema Steuersünder, das jetzt wie eine Schneewehe vor Hiddensee durch die Medien geistert und dabei viele vom Festland der Vernunft abschneidet. Besonders betroffen sind Vertreter aus dem konservativ-liberalen Regierungslager: Sie werden nicht müde, vor einem Ankauf jener brisanten Schweizer Bankdaten zu warnen, mit deren Hilfe der Staat vielleicht hunderte Millionen Euro Stuerhinterziehungsgelder zurückerlangen könnte.
Von dem Geld kann man viel Streusalz kaufen
Die Argumente sind dabei wirklich karnevalesk - oder doch kafkaesk? Von "Hehlerei" ist da die Rede, von einer Einladung an Erpresser, wenn der Fiskus die Daten kaufen würde. Schon klar: Der Verkäufer ist der eigentliche Schlingel, und der Staat macht mit. Das Steuersparen via Schweiz hingegen gilt als lässliche Sünde. Dabei könnte man mit dem Geld viel für Bildung tun, die Armut lindern, die Unis besser machen. Oder einfach genügend Streusalz kaufen.
Da tut es wohl, dass Angela Merkel und ihr Schatzkanzler Schäuble Salz in die Wunden der Neoliberalen streuen, indem sie die Hehlerware für den guten Zweck erwerben wollen. Die Silberlinge für den Ex-Mitarbeiter von HSBC oder Credit Suisse sind gut investiert. Denn die globale Finanzkrise und die Gier der Reichen haben das Gerechtigkeitsgefühl breiter Teile der Bevölkerung schon genug erschüttert. Höchste Zeit, dem entgegenzuwirken. Merkels Machtwort kommt im richtigen Moment.
Auch Gabriel sagt mal was Wahres
"Wir können Ganoven nicht laufen lassen, nur weil sie von Ganoven entlarvt werden": Da hat auch SPD-Chef Sigmar Gabriel einmal einen wahren Satz gesagt, obgleich der Opposition der Steuersündenfall natürlich nicht ungelegen kommt. Sie wird ihn weidlich dazu nutzen, um auf den Riss aufmerksam zu machen, der mitten durch die Regierung und selbst durch die Unionsparteien geht: Der soziale und der marktradikale Flügel ringen dort mit scharfer Klinge um die Vorherrschaft.
Gleiches gilt im Übrigen für die katholische Kirche – obwohl dort Figuren wie Münchens Erzbischof Reinhard Marx wirtschaftsliberale Ideen mit der "Option für die Armen" verbinden wollen. Sozialer orientiert ist die evangelische Kirche - und gerade deshalb fällt es unangenehm auf, dass sie angesichts der neuerlichen illegalen Geldverschiebungen auf Schweizer Konten wie auf Verabredung in ein kollektives Schweigen verfallen ist.
Geht es um einem Boxkampf?
Dabei zählen Themen wie Gerechtigkeit zu den christlichen Grundanliegen, und der Sinn dafür ist eine zutiefst ethische Frage. Schon das Alte Testament schlägt hier Pflöcke ein – doch das Talionsprinzip "Auge um Auge" wird gerne missverstanden, als ginge es um einen Boxkampf. Dabei steckt die Verhältnismäßigkeit der Mittel bis heute tief im deutschen Rechtsdenken – auch das übrigens ein Argument, die ominöse Daten-CD zu kaufen und aus Tätern nicht Opfer zu machen.
Wer nach christlichem Verständnis eine Sünde begeht, muss diese einsehen und bereuen, dann kann er Vergebung erwarten. Ob es um Steuern oder anderes geht, Voraussetzung ist dafür ein Sündenbewusstsein. In den vergangenen Tagen glühten zwar die Telefondrähte in die Schweiz heiß, von massenhaften Selbstanzeigen hat man hingegen nichts gehört. Dem Staat Geld zu klauen, gilt leider immer noch als Karnevalsdelikt.