In Gabriele Weiters Apothekenkasse gibt es ein Extrafach. Hinein kommt buntes Papiergeld: 20er, Zehner, Fünfer, Zweier und Einer. Die Währung heißt Pälzer, was im pfälzer Dialekt schlicht "Pfälzer" heißt. Hier im pfälzischen Speyer kann man mit den bunten Geldscheinen bezahlen: Nicht nur in Gabriele Weiters Apotheke, auch in fünfzig anderen Geschäften vom Friseur bis zum Hofladen des Biobauern werden Pälzer akzeptiert – wie normales Geld. In das können die Verkäufer die Pälzer auch wieder verwandeln: Ein Pälzer ist einen Euro wert.
28 Regionen machen mit
Gabriele Weiter macht das nicht. "Ich gebe all meine Pälzer in anderen Pälzer-Geschäften aus", sagt die 53-Jährige. Auch ihre Privatkasse hat die Vorsitzende des Pälzer Regio-Vereins fast vollständig auf das sogenannte Regiogeld umgestellt. "Nur manchmal klappt es nicht", sagt sie. "Ich bin ja auch nicht immer nur in Speyer, aber ich bemühe mich."
Das tun in Deutschland immer mehr Menschen: 28 Regionen haben seit 2001 Regiogeld eingeführt: Es hat ganz verschiedene Namen, die meist mit der Region zu tun haben: Namen wie Havelblüte, Chiemgauer oder Edertaler. 40 weitere Orte bereiten derzeit Regiogeldprojekte vor. "Der Gedanke wird immer erfolgreicher", sagt Ralf Becker, Ökonom und Forschungskoordinator für den Verband aller Regiogeld-Initiativen, dem Regiogeld e.V. "Durch die Finanzkrise beginnen immer mehr Menschen, kritisch über Geld nachzudenken."
Und genau das ist der Kern der Regiogeld-Idee. Denn der entscheidende Unterschied zwischen einem Euro und einem Pälzer ist die Umlaufgebühr – ein negativer Zins sozusagen. Hat man den Pälzer drei Monate lang im Portemonnaie, muss man für zwei Cent Marken auf ihn kleben. Den Gewinn, den der Pälzer Regioverein dadurch macht, spendet er für gemeinnützige Zwecke. Nach diesem Prinzip arbeiten alle Regiogeldinitiativen, erklärt Ralf Becker. "Der Wertverlust ist bei jeder Regiogeldinitiative anders, aber das Prinzip ist gleich: Man soll das Geld nicht horten, sondern in den Umlauf bringen." Und das hat gleich mehrere Effekte: Die regionale Wirtschaft wird gefördert, da die Menschen das Regiogeld vor Ort ausgeben. "Das ist umweltfreundlich, da die Waren in der Regel regional hergestellt werden und die Leute nicht mit dem Auto zum Einkaufen fahren", erklärt Gabriele Weiter. Das erklärt sie fast allen ihren Kunden. "Für die großen ethischen Gedanken dahinter muss man etwas tiefer in dem System drin sein", sagt sie.
Regiogeld als Lernspiel
"Dass es moralisch falsch ist, immer auf Geldwachstum zu setzen, zum Beispiel, weil die Reichen so reicher werden und die Armen ärmer. Und dass man mal generell darüber nachdenkt, was man mit seinem Geld macht. Da kommen dann auch Religion und Wertvorstellungen mit ins Spiel." Genau diese Werte tragen das Gesamtprojekt, sagt Okönom Ralf Becker. "Regiogeld ist ein riesiges Lernspiel", sagt er. "Jeder, der daran teilnimmt, merkt irgendwann, dass ein Geldsystem ohne Wachstumszwang durch Zinsen besser und gerechter funktioniert."
Und dadurch wächst die Lobby der Kritiker des herrschenden Geldsystems. Die Finanzkrise ist für Ralf Becker, der derzeit an dem Wirtschaftsbericht des Club of Rome mitarbeitet, nur ein Warnschuss, der wieder kommen wird – "mit größerer Heftigkeit". Denn er hält das Zinssystem für falsch. "Die Geldmenge wächst durch den Zins exponentiell und verteilt sich in der Bevölkerung immer weiter von oben nach unten. Dadurch ist das ganze Wirtschaftssystem instabil." Die Regiogeld-Bewegung lebt diese Kritik – und funktioniert, zumindest auf lokaler Ebene.
Erfolgreichstes Beispiel: Der Chiemgauer, der im vergangenen Jahr Waren im Wert von vier Millionen Euro umgesetzt hat und an dem im Chiemgau mehr als 550 Unternehmen mitwirken, indem sie den Chiemgauer als Zahlungsmittel akzeptieren. "Je mehr Firmen mitmachen, desto besser funktioniert das regionale System", sagt Ralf Becker. "Außerdem braucht jede Region ein eigenes Konzept, da die Bewohner unterschiedliche Bedürfnisse haben." Das Chiemgauer-Konzept beispielsweise wird vor allem in Süd- und Westdeutschland umgesetzt. Auch der Pälzer hat es übernommen. Dieses Regiogeld ist Euro gedeckt, das heißt, es kann in Euro umgetauscht werden und wird gegen Euro erworben. Wird es zu lange gespart, verliert es an Wert. Auch beim Rücktausch gehen fünf Prozent verloren. Ausgegeben wird das Geld in teilnehmenden Banken und Geschäften. Die Gewinne durch den Wertverlust werden am Ende des Jahres gespendet.
Havelblüten sehr erfolgreich
In Ostdeutschland sind vor allem die Havelblüten und ihr nachgeahmte Systeme erfolgreich. Sie sind leistungsgedecktes Regiogeld. Unternehmen und Privatpersonen verpflichten sich vertraglich, eine Leistung zu erbringen und erhalten dafür – quasi als Vorrauszahlung – Havelblüten. Die werden dann auf verschiedene Weisen in Umlauf gebracht: Als Kundenrabatte zu Marketingzwecken oder als Bonus bei der Mitarbeiterbezahlung. Sind sie einmal im Umlauf, werden sie in den teilnehmenden Geschäften auf verschiedene Weise akzeptiert: Restaurants oder Geschäfte bieten "Flower hours" an, bei denen mit Havelblüten gezahlt werden kann, einige Geschäfte zeichnen ihre regionale Produktpalette ausschließlich in Havelblüten aus. "Dass das Regiogeld mit einem Kredit startet, war in Ostdeutschland sehr erfolgreich, weil die Menschen dort insgesamt weniger Geld zur Verfügung haben", sagt Ralf Becker.
Neben diesen beiden Modellen gibt es noch zahlreiche Mischformen: Eurogedeckte Systeme, die einen leistungsgedeckten Tauschring einbinden wie die Sterntaler und leistungsgedecktes Regiogeld, das doch in Euro umgetauscht werden kann wie beim Urstromtaler. Sie eint ein Umlaufimpuls: Es gibt keine Zinsen, sondern einen Wertverlust. "Das ist auch ein christlicher Gedanke", sagt die speyersche Apothekerin Gabriele Weiter. Sie hat deshalb in ihrer katholischen Kirchengemeinde viel Werbung für den Pälzer gemacht. "Christen kann man sehr leicht für den Regiogeld-Gedanken begeistern", sagt sie. "Umweltschutz und Spenden ist ja per se christlich. Und zinsfrei zu handeln wird an mehreren Stellen in der Bibel gefordert."
Das sieht auch die evangelische Landeskirche in der Pfalz so. "Ethisch mit Geld umgehen ist ein fundamental wichtiges Thema für Christen", sagt Pfarrer Thomas Jakubowski. "Der Pälzer ist deshalb sehr interessant für uns, weil das in seinem Konzept angelegt ist." Jakubowski leitet das Werk gegenseitiger Hilfe, eine solidarische Zusatzkrankenversicherung für Pfarrer. Er und auch die Finanzdezernentin der pfälzischen Landeskirche, Karin Kessel, können sich gut vorstellen, ein Pilotkirchenprojekt zu starten und dort die Pälzer auszuprobieren. "Sie könnten sehr gut in der Kollekte akzeptiert werden", sagt Pfarrer Jakubowski. "Und dann eignen sie sich hervorragend, um Familien in Not zu unterstützen. Sie können mit ihnen regionale Waren einkaufen, sie aber nicht in Suchtmittel umsetzen."
Pfarrer will Vorreiter und Vorbild beim Thema Geld sein
Auch in andere kirchliche Wirtschaftskreise ließe sich der Pälzer integrieren: "In den kirchlichen Kindergärten muss ja auch eingekauft werden und es fließt Geld hinein – auch da können Zahllungswege aus Pälzern bestehen." Das Geld könne gewerbliche und gemeinnützige Einrichtungen der Kirche vernetzen, glaubt Finanzdezernentin Kessel. Auch Bildungseinrichtungen könnten die Pälzer nutzen. Und Pfarrer Jakubowksi will bald grundlegend mit seinen Kollegen über Geld debattieren – sowohl über die zinsfreien Pälzer als auch über ethische Geldanlagen. "Das ist unsere Aufgabe als Kirche", sagt er. "Wir sind eine funktionierende Gemeinschaft und sollten auch beim Thema Geld Vorreiter und Vorbild sein."
Eine eigene zinsfreie Kirchenwährung hält Ralf Becker vom Regiogeldverband allerdings für sehr kompliziert, "denn der Wirtschaftskreislauf ist nicht geschlossen." Eine regionale Teilnahme am Geldprojekt findet er nur folgerichtig und hat daher auch an den 9,5 Thesen mitgewirkt, die zinskritische Theologen und Wirtschaftswissenschaftler am Reformationstag 2009 an die Paulskirche schlugen. "Die Bewegung wird hoffentlich bald so unüberhörbar, dass auch unsere Zentralbank einen Negativzins einführt", sagt er. Und dass er das nicht unrealistisch findet. "Schweden hat das im Zuge der Finanzkrise auch gemacht– es wird überall umgedacht." Tatsächlich hat die schwedische Zentralbank im Juli 2009 einen Negativzins auf Tagesgeld eingeführt. Die Botschaft dahinter formulierte der Chefökonom der Danske Bank, Roger Josefsson, so: "Das Geld soll raus ins System."
Wie in der Region. Gabriele Weiter freut sich über jeden Pälzer in ihrer Apothekenkasse. Probleme, sie für Sinnvolles auszugeben haben weder sie noch ihre Angestellten. "Es machen ja genug mit. Man kann sich die Haare schneiden, Kleidung oder Essen kaufen", sagt sie. "Und es kann noch viel mehr werden."
Miriam Bunjes ist freie Journalistin und lebt in Dortmund. Ihre Texte erscheinen bei verschiedenen Tageszeitungen und Internetportalen.