Als Zahnärztin in Kundus: "Die Haut wird dünner"
Eingepfercht im Feldlager der Bundeswehr in Kundus erlebt Bundeswehr-Zahnärztin Christina M. ihre eigene Variante des Krieges in Afghanistan. Sie ist eine der wenigen Frauen bei der Bundeswehr. Von den Kämpfen sieht sie nur das Ergebnis: Verletzte Soldaten auf Operationstischen. Die Zeit in Afghanistan, sagt sie, fehlt ihr hinterher im normalen Leben.
01.02.2010
Von Bettina Grachtrup

Rund 1.200 deutsche Soldaten leben auf engstem Raum in dem Bundeswehr-Lager im nordafghanischen Kundus. Davon sind ganze 28 Frauen - wie die Zahnärztin Christina M. Die 28-Jährige ist zum ersten Mal mit der Bundeswehr im Auslandseinsatz und nimmt das Lagerleben mit gemischten Gefühlen wahr. Wie viele andere Soldaten auch verlässt sie das sichere Lager in der Regel nicht. Von der schwierigen Situation der Soldaten, die sich außerhalb der schützenden Wälle bewegen und häufig angegriffen werden, weiß sie nur aus Erzählungen und den Medien. Für sie persönlich besteht die größte Herausforderung darin, gegen den "Lagerkoller" anzukämpfen.

"Ich kann hier nicht eben mal raus und draußen shoppen gehen", erzählt die junge Frau aus Wernigerode (Sachsen-Anhalt). "Ich stehe jeden Tag um dieselbe Zeit auf, gehe die zehn Meter bis zu meinem Behandlungsplatz, gehe dann zur Truppenküche und wieder zurück." Jeden Tag bewegt sie sich in demselben, engen Kreis. Auch auf der Stube ist die Soldatin nicht allein, den Raum teilt sie sich mit anderen. "Ich kann versuchen, etwas Sport zu machen, aber ich kann den Leuten oder auch der Klinik nicht entgehen." Wie alle Bundeswehr-Ärzte hat sie ein Funkgerät, über das sie ständig erreichbar ist. "Wenn man sich hinlegt, weiß man nie, ob man wirklich schlafen kann - selbst als Zahnarzt nicht", erzählt Christina, die eigentlich im Fachsanitätszentrum in Sigmaringen (Baden-Württemberg) arbeitet.

"Die Nerven liegen eher blank"

Denn es passiert oft, dass Christina M. zu Schwerverwundeten gerufen wird, um beispielsweise Knochenbrüche im Gesicht zu versorgen oder Wunden zu nähen. Neben ihrer Arbeit als Zahnärztin wird sie auch als Sanitäterin in den so genannten Schockräume eingesetzt, wo schwerstverletzte Menschen erstversorgt werden. "Man steht immer so ein bischen unter Dauerstrom", sagte sie und räumt ein, dass sie dies unterschätzt habe. "Ich dachte, es wäre unanstrengender." Weil sie nie allein sein kann, um mal abzuschalten, lägen die Nerven eher blank. "Die Haut wird dünner", meint sie. Da durchzuhalten, sei vor allem eine Sache, die im Kopf passiert: "Das ist wie beim Marathon."

Weil man anderen Menschen nicht entgehen könne, sei der Umgang miteinander aber auch sehr viel ehrlicher als in Deutschland. Wer sich auf der Arbeit zurücknehme, quasi eine Rolle spiele, und nur zu Hause ganz er selbst sei, könne diese Trennung im Lager auf Dauer nicht durchhalten. "Man lernt viel über sich selbst", meint sie. Letztlich schweiße die Gemeinschaft die Menschen auch zusammen. Alle bemühten sich, aus der Situation das Beste zu machen - auch, wenn etwas kaputtgehe und nicht sofort repariert werden könne, weil ein Ersatzteil fehle. "Es gibt wenig Gemosere", meint die 28-Jährige.

Nach dem Einsatz fehlen ihr fünf Monate

Was sie aus Deutschland vermisst? "Familie. Definitiv", sagt sie mit Nachdruck. Sie habe keine eigenen Kinder, aber Nichten und Neffen. Zu Hause geht das Leben ohne sie weiter. "Wenn ich wiederkomme, fehlen mir fast fünf Monate." Auch würden Feste und Geburtstage im Lager anders gefeiert als zu Hause. "Man hat am Ende das Gefühl, ein Stück des Jahres fehlt mir, weil eine bestimmte Zeit für mich einfach anders war." Manchmal, so räumt die Zahnärztin ein, habe sie ein schlechtes Gewissen gegenüber den Soldaten, die draußen ihr Leben riskieren. Den sie bekämen alle dieselbe Gefahrenzulage - egal, ob sie in- oder außerhalb des Lagers unterwegs seien.

Die Erfahrungen in Afghanistan wolle sie aber nicht missen, beteuert die 28-Jährige. Insgesamt gehe es ihr gut. Wenn sie dies allerdings ihrer Familie und ihren Freunden zu Hause erzähle, habe sie häufig das Gefühl, diese glaubten ihr nicht: "Sie meinen, ich wolle sie beruhigen."

dpa