Zukünftige Religionslehrer: Vermittler statt Ideologen
Der Beruf des Lehrers hat in Deutschland nicht das beste Image. Das gilt auch für Religionslehrer. Zwei Studentinnen erzählen, warum sie trotzdem Theologie unterrichten wollen, katholisch wie evangelisch.
01.02.2010
Von Maike Freund

"Warum hat Gott zugelassen, dass mein Hase stirbt?" Alina muss schlucken, als sie diese Frage hört. Ein Mädchen in ihrem Unterricht im Praktikum an einer Grundschule stellt sie. Alina weiß keine Antwort, erst recht keine, die sie als Lehrerin geben könnte. Alina ist Lehramtsstudentin im fünften Semester an der TU Dortmund, sie will Grundschullehrerin für evangelische Religion und Mathematik werden. Das wusste die 21-Jährige schon immer. Nur die Antwort auf die Frage weiß sie nicht. Noch nicht.

Denn es sind vor allem theoretische Abhandlungen, beispielsweise in Kirchengeschichte, die in Theologie an der Uni behandelt werden. Typische Kinderfragen wie "Wer ist Gott? Warum brauchen wir ihn?", kommen im Studium jedoch nicht vor. Deshalb auch ihre größte Kritik: Die Ausbildung ist "viel zu theoretisch, viel zu praxisfern". Fast hätte sie das Studium aus diesem Grund geschmissen. Zum Glück gab es das Praktikum, in dem sie unterrichten konnte. In dem sie praktisch arbeiten konnte. Endlich.

Der didaktische Anteil kommt zu kurz

Den Vorwurf der Praxisferne hat Jürgen Frank schon häufig gehört, und er bestätigt ihn. Frank ist Leiter der Abteilung Bildung bei der Evangelischen Kirche (EKD). Weil Lehramts- und Pfarramtsanwärter Theologie zusammen studieren, komme der didaktische Anteil an den Unis zu kurz. In Zukunft müsse das Coachen und Einüben von didaktischen Fragen wieder einen höheren Anteil einnehmen. Dass sich die Praxisferne während der Ausbildung negativ auf das Image des Lehrerberufs auswirkt, ist Frank bewusst: "Vergleicht man jedoch die Lehramtsstudierenden und die Pfarramtsanwärter, sind die zukünftigen Religionslehrer begabter und besser." Das zeigten zum Beispiel der Notendurchschnitt. So gesehen sei der Beruf des Religionslehrers unter den Theologiestudenten hoch angesehen.

Alinas Berufswahl hat unterschiedliche Gründe. Auf der einen Seite pragmatische. Denn auf Theologie gibt es in Dortmund keinen Numerus Clausus. Trotzdem hätte sie nie nur deshalb das Fach gewählt. Alina wurde religiös erzogen. Ihre Eltern sind in der Gemeinde aktiv, sie selbst geht relativ selten in die Kirche, aber sie sagt: "Ich glaube an Gott." Dahinter steht für sie noch mehr: "Kinder bekommen heute vieles gar nicht mehr mit", zum Beispiel das Leben in einer Gemeine und somit "die Werte unserer Gesellschaft". Also will sie ein Vorbild sein und das ermöglichen, was sie selbst als Kind erleben durfte: Einen Zugang zu Gott zu finden.

"Ich muss nicht mit allem übereinstimmen, was der Papst sagt"

Im Wintersemester 2008/2009 gab es nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes rund 136.000 Studierende mit dem Ziel einer Lehramtsprüfung. Hinzu kamen diejenigen, die einen Bachelor/Master-Abschluss machen wollen. Sie werden statistisch erst dann den Lehramtsstudenten zugerechnet, wenn sie sich während des Master tatsächlich für den Beruf des Lehrers entscheiden. Im Bachelorstudiengang müssen sie sich – anders als beim früheren, klassischen Lehramtsstudiengang – noch nicht festlegen. Von den rund 136.000 Studierenden wollten laut Statistik 1.663 evangelische und 2.246 katholische Religionslehrer werden.

Eine von ihnen ist Nina. Sie ist 21 und will katholische Religionslehrerin werden. Seit einem Jahr studiert sie in an der TU Dortmund katholische Religion und Deutsch auf Lehramt. Für sie ist Religion "eine Variante, die versucht, Antworten auf die wichtigsten Fragen zu geben". Was ihr wichtig ist: "Man kann die Vorschläge der Kirche annehmen, muss es aber nicht." Sie sieht sich nicht als Ideologin, sondern als Vermittlerin in den wichtigen Fragen des Lebens für ihre zukünftigen Schüler. Was passiert nach dem Tod? Was ist der Sinn des Lebens? Das ist auch der Grund, weshalb sie Religionsunterricht für wichtig hält. Die Vorstellungen der katholischen Kirche und des Papstes sind für sie jedoch nicht unumstößlich. Zum Beispiel wenn es um Abtreibung, Verhütung oder Sterbehilfe geht. "Ich muss nicht mit allem übereinstimmen, was der Papst sagt", sagt sie.

Religion ist nicht Thema Nummer eins

Religionsunterricht ist als Schulfach im Grundgesetz verankert. Und das ist auch richtig so, findet Frank: "Religionsunterricht muss es geben, weil es Religion in der Gesellschaft gibt." Außerdem sei Theologie eine "Bezugswissenschaft". Kenntnisse über andere Anschauungen seien Teil der Ausbildung und somit des Religionsunterrichts. Trotzdem hat es in den vergangenen Jahren – besonders in Brandenburg mit der Einführung des Schulfach "Lebensgestaltung - Ethik - Religionskunde" (LER), das weltanschaulich neutral verschiedene Werthaltungen und Religionen zum Inhalt hat – über die Notwendigkeit von Religion als Schulfach immer wieder Diskussionen gegeben. Eine deutschlandweite Emnid-Umfrage zur Haltung der Bevölkerung in Sachen Religionsunterricht ergab: 67 Prozent der Befragten sind der Ansicht, dass LER und Religionsunterricht gleichberechtigt auf dem Stundenplan stehen sollten.

"Was willst du denn mit dem Studium?", fragte Alinas Freund – auch er zweifelte an der Notwendigkeit des Fachs. "Warum ausgerechnet Theologie?" Auch andere Freunde haben komisch geguckt – Religion ist nicht gerade das Thema Nummer eins bei jungen Erwachsenen. Ihre Eltern hingegen waren begeistert. "Super" finden sie ihre Entscheidung. Auch Nina hat unterschiedliche Reaktionen auf ihre Berufswunsch bekommen: "Bist du denn so gläubig?" haben ihre Freunde skeptisch gefragt. Sie hat ihnen erklärt: "Ich glaube, dass es einen Gott gibt, und dass Dinge nicht zufällig passieren." Für ihre Freunde ist Ninas Berufsziel kein Thema mehr. Im Gegenteil: Sie glauben, dass er zu ihr passt.

Mehr Informationen zum Beruf des Religionslehrers gibt es auf der Webseite religion-studieren.de und beim Studierendenrat Evangelische Theologie.


 

Maike Freund ist freie Journalistin aus Dortmund und schreibt unter anderem für evangelisch.de.