Der Fiskus prüft den Ankauf brisanter Bankdaten möglicher deutscher Steuersünder in der Schweiz. Ein Informant hat den Steuerbehörden Daten von angeblich bis zu 1.500 Deutschen angeboten. Sie sollen Millionensummen auf Schweizer Konten geschleust haben. Berichte der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ) und der "Süddeutsche Zeitung" wurden am Samstag in Berliner Regierungskreisen im Grundsatz bestätigt.
Das Finanzministerium wollte sich zu Details unter Verweis auf das Steuergeheimnis nicht äußern. Der Fall erinnert an die Liechtenstein- Steueraffäre, über die Ex-Post-Chef Klaus Zumwinkel stolperte. Die Schweizer Wirtschaftsministerin Doris Leuthard sagte im Schweizer Fernsehen, es gebe im Prozessrecht die Regel, dass man illegale Daten nicht verwende. Es gebe dann wohl bald den neuen Beruf "Datenklauer".
Ankauf ist Ländersache
Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur dpa ist Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) persönlich mit dem Vorgang bisher nicht befasst gewesen. Er wäre für den möglichen Kauf der Daten, die Steuermehreinnahmen in Millionenhöhe versprechen, auch gar nicht zuständig - Steuerverfahren sind Ländersache. In wichtigen Fällen kann der Bund aber mit einbezogen werden.
Laut "FAZ" hat die Überprüfung einer ersten Stichprobe aus der Schweiz ergeben, dass in jedem der fünf konkreten Fälle eine Steuernachzahlung von jeweils einer Million Euro fällig wäre. Die Ermittler würden damit rechnen, dass die Unterlagen rund 100 Millionen Euro in die Staatskasse spülen könnten, wenn die Behörden sich auf den Handel einlassen sollten.
Wie die dpa weiter erfuhr, prüfen derzeit die Finanzbehörden die Rechtslage. Es sei ein Abwägungsprozess, ob der Staat offensichtlich gestohlene Daten ausländischer Bankinstitute aufkaufen solle. Mache man Fehler, seien die Daten später im Verfahren nicht verwertbar, hieß es. Der Korrespondent des Schweizer Fernsehens berichtete am Samstagabend, nach seinen Informationen würde in Berlin über eine Steueramnestie wie in Italien nachgedacht.
BND kaufte DVDs
In der Liechtenstein-Affäre hatte vor zwei Jahren der damalige Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) zusammen mit den Steuerbehörden grünes Licht für einen spektakulären Deal gegeben. Der Auslandsgeheimdienst BND kaufte einem Ex-Mitarbeiter der Liechtensteiner LGT-Bank gestohlene Daten-DVDs für bis zu fünf Millionen Euro ab. Es folgten Razzien und viele Verfahren.
Die Bochumer Staatsanwaltschaft ermittelt zurzeit noch in rund 400 weiteren Liechtenstein-Fällen. Der frühere Topmanager Zumwinkel - er hatte an der Steuer vorbei im Fürstentum Geld angelegt - war Anfang 2009 zu zwei Jahren Haft auf Bewährung und einer Geldstrafe von einer Million Euro verurteilt worden.
Den fünf Verdächtigen aus der Stichprobe drohen nach "FAZ"-Angaben Steuerstrafverfahren. "Für die fünf Kontoinhaber, die wir probehalber kontrolliert haben, ist es für eine Selbstanzeige zu spät", zitierte die Zeitung Einschätzungen aus der Finanzverwaltung.
Finanzexperten uneinig
Die SPD-Finanzexpertin Nicolette Kressl forderte den Kauf der Daten: "Die angebotene CD enthält offenbar entscheidende Daten, die zur Aufklärung von zahlreichen Straftaten im Bereich der Steuerhinterziehung führen können." Der Vorsitzende des Bundestags-Finanzausschusses, Volker Wissing (FDP) will zunächst eine Prüfung abwarten. "Der Finanzminister ist gut beraten, zu klären, ob diese Daten rechtlich einwandfrei erworben werden können", sagte er der "Welt am Sonntag". Der CDU-Politiker Michael Fuchs riet in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" von einem Deal ab: "Das ist ein gestohlenes Gut. Da würde man Diebe belohnen."
Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hat sich gegen den Kauf der Datensätze ausgesprochen. "Ich persönlich habe ein Problem damit", sagte Guttenberg in einem Interview mit der "Neuen Zürcher Zeitung" (NZZ/Sonntag). Solche Ermittlungen hätten "rechtsstaatlichen Maßstäben zu gehorchen, auch bei uns". Manche "vorauseilende Lust auf Daten" müsse auch einer solchen Überprüfung standhalten.
Wenn es konkrete Hinweise auf Steuerhinterzieher auf einem Weg gebe, der nicht eine illegale Grundlage habe, dann solle man diesen nachgehen, sagte Guttenberg. "Dies ist ja nicht der erste Fall dieser Art, und ich glaube, man muss da mit sehr viel Augenmaß herangehen und auch sehr darauf achten muss, dass sich da gewisse Dinge nicht wiederholen." Gewachsene gute Beziehungen, hier mit der Schweiz, dürften "nicht leichtsinnig aufs Spiel" gesetzt werden, sagte der Minister.
Identität unbekannt
Die Identität des Informanten ist bisher unbekannt. Er soll sich laut "Süddeutscher Zeitung" an die Steuerfahndung in Wuppertal gewendet haben. Nach dpa-Informationen ist die Staatsanwaltschaft Bochum, die die Liechtenstein-Affäre federführend aufgearbeitet hatte, bislang nicht eingeschaltet worden.
Schäubles Ministerium teilte mit, seit der Liechtenstein-Affäre würden den Behörden immer wieder Daten zur Verfügung gestellt. "Diese Daten werden von den zuständigen Landesfinanzbehörden geprüft. Davon hängt das weitere Vorgehen ab", sagte ein Sprecher. Das Ministerium rät allen Steuerpflichtigen, die ein schlechtes Gewissen haben, zur Selbstanzeige. Keine Angaben wurden gemacht, um welche Bank in der Schweiz es geht. Nach Informationen des Schweizer Fernsehens sollen es mehrheitlich Daten der Großbank UBS sein.
Der Schweizer Verteidigungsminister Ueli Maurer sagte am Rande des Weltwirtschaftsgipfels in Davos, sein Vertrauen in Deutschland würde erschüttert, wenn sich der deutsche Staat dafür hergeben würde, "für geklaute Daten zu bezahlen". Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) sagte in Davos, die Beziehungen zur Schweiz seien stabil. "Die Freundschaft zwischen der Schweiz und Deutschland hält vieles aus."
Die jüngsten Berichte könnten die laufenden Verhandlungen der Schweiz mit Deutschland über ein neues Doppelbesteuerungsabkommen belasten. Ein Abkommen mit Frankreich war nach einem Streit mit Paris um gestohlene Bankdaten auf Eis gelegt worden.