"Der weiße Rabe", Samstag, 30. Januar, 21.55 Uhr im Bayrischen Rundfunk
Am 6. Februar wird Max Mannheimer 90. Er hat drei Konzentrationslager überlebt. Bis auf einen jüngeren Brüder ist seine komplette Familie von den Nationalsozialisten ermordet worden. Nach seiner Befreiung hat er Deutschland verlassen und geschworen, nie wieder einen Fuß in dieses Land zu setzen; und dann eine Deutsche geheiratet. Es ist ein Segen, dass Mannheimer seinen Schwur schon 1946 wieder gebrochen hat, denn er hat sein Leben der Erinnerung verschrieben.
Der alte Herr braucht dabei keinerlei Gedächtnisstützen. Er beneidet alle Leidensgenossen, die das Glück hatten, die Vergangenheit vergessen zu können. Mannheimer hingegen hat jedes Detail jener grauenhaften Jahre gespeichert. Unermüdlich hält der so unerschütterlich wirkende Mann, der in einem Zeitraum von zwei Jahren mehr erschütternde Erfahrungen machen musste, als ein Mensch allein eigentlich aushalten kann, Vorträge über die Zeit zwischen 1943 und 1945. Dann erzählt er von den willkürlichen Grausamkeiten und vom namenlosen Grauen der Selektionen; und wie er sich mit List und der Hilfe seines Bruders Ernst immer wieder vor der Gaskammer retten konnte.
Carolin Otto, gut halb so alt wie Mannheimer, hat ihn vor gut 20 Jahren durch Zufall kennen gelernt; seither sind sie befreundet. Sie hat schon mehrere Filme mit ihm und über ihn gedreht. Bei der Zusammenstellung des Materials hat sie sich auch bei früheren Werken bedient. Ähnlich wie Claude Lanzmann in "Shoah" verzichtet sie völlig auf dokumentarische Aufnahmen.
Obwohl das Thema naturgemäß alles andere als heiter ist, zeichnet sich der Film erstaunlicherweise durch eine gewisse Unterhaltsamkeit aus: Mannheimer bezeichnet sich selbst als "Weißen Raben", weil er im Gegensatz zu anderen Überlebenden des Holocaust nicht von Hass und Rachsucht zerfressen ist. Außerdem ist er eine Art wandelndes Witze-Lexikon. Vor allem aber ist er ein fesselnder Erzähler. Über die fürchterlichen Erlebnisse in den Konzentrationslagern spricht Mannheimer ungerührt. Die Tränen übermannen ihn erst, als er seine eigenen Kindheitserinnerungen und die glücklichen Jahre mit seinen Eltern schildert.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und die "Frankfurter Rundschau" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).