Kunstaktion in Mainz vereint Glockengeläut und Muezzinrufe
Ungewöhnliche Klänge in der Mainzer Innenstadt: Bei der Installation "On Air" von Miriam Kilali ertönen die Glocken des Petersdoms in Rom und der Muezzinruf der Blauen Moschee in Istanbul.
29.01.2010
Von Karsten Packeiser

Ein älterer Mainzer muss sein Fahrrad stoppen, so überrascht ist er. "Ja, sind wir hier jetzt in Mekka?" ruft er verstört und blickt hoch zum Turm der katholischen Antoniuskapelle. Von dort oben ertönen abwechselnd Glockengeläut und der Gebetsruf eines Muezzin. Nebenan, im Hochhaus der Landesbausparkasse, stehen verwirrte Angestellte an den Fenstern. Auch ein paar muslimische Frauen mit Kopftuch blicken ungläubig hinauf zur Kirche. Das christliche Gotteshaus ist weder an eine Moscheegemeinde verkauft noch von Muslimen besetzt worden.

Die ungewöhnlichen Klänge sind vielmehr Teil einer Kunstaktion. Sechs Mal beschallt die Berliner Künstlerin Miriam Kilali am Freitag und Samstag Teile der Mainzer Innenstadt mit ihrer Klanginstallation "On Air". Jeweils um Punkt 10, 14 und 17 Uhr ertönen die Glocken des Petersdoms in Rom und der Muezzinruf der Blauen Moschee in Istanbul. Die Künstlerin will nach eigenen Angaben mit der Aktion zu mehr Verständnis zwischen Christen und Muslimen aufrufen. "Im Moment gibt es viel Stimmungsmache gegen Muslime", sagt sie.

Foto: Miriam Kilali (Mitte), der Vorsitzende des Mainzer Arab Nil-Rhein Vereins, Samy El Hagrasy (links), und der katholische Pfarrer Michael Baunacke.

"Jetzt erst recht"

Miriam Kilali beschäftigt sich als Künstlerin häufig mit gesellschaftspolitischen Themen. In Moskau und Berlin etwa hatte sie zwei Notunterkünfte zu den beiden "schönsten Obdachlosenheimen der Welt" umgebaut. Die Idee zu ihrer Mainzer Klanginstallation sei ihr bereits vor längerer Zeit gekommen. "Nach der Minarett-Abstimmung in der Schweiz habe ich gesagt: Jetzt erst recht", erzählt die 44-Jährige, die in Mainz aufwuchs. Der katholische Pfarrer Michael Baunacke stellte der Aktion seine mittelalterliche Kapelle zur Verfügung. "Wir hatten in diesem Land schon eine schlechte Erfahrung mit der Ausgrenzung einer bestimmten Bevölkerungsgruppe", begründet er sein Engagement.

Draußen auf der Straße stößt der Muezzinruf dagegen erwartungsgemäß auf ein geteiltes Echo. "Christen werden in islamischen Ländern verfolgt", schimpft ein älterer Mann, "aber wir sollen hier zu allem Ja und Amen sagen." Eine junge Ärztin, die selbst aus dem Iran stammt, freut sich dagegen. "Schön, das mal wieder zu hören", sagt sie. Die Gebetsrufe von den Moscheen seien ein Klang, mit dem sie als Kind groß geworden sei. "Ich kann es aber auch verstehen, wenn es den Menschen hier nicht gefällt."

Erste islamische Kita

Mitten zwischen den Passanten läuft Samy El Hagrasy umher, verteilt Flugblätter zum islamisch-christlichen Dialog und redet mit den verwunderten Mainzern. Der Chemiker ist Vorsitzender eines Moscheevereins, der nach heftigen lokalpolitischen Auseinandersetzungen vor einem Jahr die erste islamische Kindertagesstätte in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt eröffnete. Als die Künstlerin Kilali um seine Mithilfe bei dem Projekt bat, habe er zunächst Angst bekommen. "Ich habe gedacht: 'Bitte, bitte ohne mich'", sagt El Hagrasy, "aber dann hat mich die Idee doch überzeugt."

Die Kunstaktion soll nach dem Willen der Beteiligten nicht als Aufruf zugunsten muslimischer Gebetsrufe in deutschen Städten verstanden werden. Derzeit gibt es in keiner der Mainzer Moscheen und Gebetsräume ein Minarett, nirgendwo ruft der Muezzin die Gläubigen. Das sei in einem christlichen Land wie der Bundesrepublik auch gar nicht nötig, sagt El Hagrasy. Aber auch die Mainzer Antoniuskapelle wird ab Samstagabend wieder komplett verstummen. Weil das Gotteshaus von keiner Gemeinde, sondern nur noch für Sonderveranstaltungen genutzt wird, rufen die Glocken schon seit Jahren nicht mehr zum Gottesdienst. Abgesehen davon, sagt Pfarrer Baunacke, sei der Läutemechanismus inzwischen defekt.

epd