Lepra - die längst vergessene Seuche
Noch immer leiden weltweit fünf Millionen Menschen an Lepra, wohl die Krankheit eigentlich leicht zu heilen ist. Der Weltlepratag soll auf ihr Schicksal aufmerksam machen.
29.01.2010
Von Jan Dirk Herbermann

Ihm fehlt die halbe Nase, sein Blick ist leer, an die linke Hand erinnert nur ein Stumpf. Ram Kulkarni ist von der Lepra gezeichnet. Er ist einer von weltweit fünf Millionen Menschen, die an der Infektionskrankheit leiden. Am 31. Januar, dem Welt-Lepra-Tag, wird an sie erinnert.

In Thane, wo Ram Kulkarni mit seiner Frau lebt, sieht man, weshalb die medizinisch leicht heilbare Lepra als Krankheit der Armen bezeichnet wird. Hütten, die umgeben sind von Schlamm und Müll, prägen das Bild in der Kolonie für Leprakranke in Indiens Metropole Bombay (Mumbai). Eine struppige Katze trinkt Wasser aus einer ölig glänzenden Pfütze. Es stinkt.

"Im Kampf gegen die Lepra haben wir enorme Fortschritte erzielt", sagt Klaus Leisinger, Präsident der Novartis Stiftung für nachhaltige Entwicklung. In den vergangenen 25 Jahren hätten 14 Millionen Männer, Frauen und Kinder eine heilende Behandlung erhalten. Viele seien früh genug zum Arzt gegangen, um Verstümmelungen vorzubeugen. Die Stiftung des Schweizer Pharma-Multis Novartis bezahlte eigenen Angaben zufolge rund 4,5 Millionen Patienten eine Anti-Lepra-Therapie und führt damit das private Engagement gegen die Seuche an.

Kampf ist noch nicht gewonnen

In den 80er Jahren befiel die Lepra pro Jahr Millionen Menschen. Auch wenn die Zahl der Kranken stetig zurückgeht, registrierte die Weltgesundheitsorganisation für 2008 immer noch 250.000 Neuinfektionen. "Die Schlacht ist noch nicht komplett gewonnen", betont Novartis-Mann Leisinger.

Die Experten der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe (DAHW) sehen die Sache wesentlich kritischer: "Eine Ausrottung der Lepra ist nicht in Sicht", erklärt DAHW-Sprecher Jochen Hövekenmeier. Ein Grund dafür liege auch bei der Weltgesundheitsorganisation. "Die Erfassung der neuen Fälle laut den WHO-Richtlinien gibt kein korrektes Bild des wahren Ausmaßes der Lepra", betont Hövekenmeier. Die Folge: Der Kampf gegen die Lepra rutscht auf der internationalen Gesundheits-Agenda nach unten.

Warum die Seuche sich so hartnäckig hält, erschließt sich in den Elendsvierteln Bombays. Dort sind die Menschen noch immer überzeugt, dass die Lepra eine Strafe, ein Fluch, der harte Wille Gottes ist. Viele Infizierte verstecken die ersten sichtbaren Anzeichen, helle Flecken auf der dunklen Haut, die sich taub anfühlen.

Angst vor sozialer Ächtung

"Nur die Mitglieder meiner Familie wussten von meiner Krankheit", erzählt Shobha Kale und hält ihre verstümmelte Hand hoch. Sie erhält Medizin in einer Krankenstation etwa 40 Kilometer von Bombays Stadtzentrum entfernt. Shobha Kale fürchtete Stigmatisierung und Diskriminierung. Sie verlor ihre Arbeit und verkroch sich in ihrem Haus. So wucherte die Lepra immer weiter - ein Teufelskreis.

Die Angst vor der sozialen Ächtung ist bei vielen stärker als das Vertrauen in die Therapie. "Behinderungen und Verunstaltungen bleiben der Hauptgrund für die Diskriminierungen", erklärt Atul Shah. Der Mediziner kämpft im Auftrag der Novartis-Stiftung gegen die Lepra. "Leider kommen viele Patienten erst, wenn es zu spät ist." Zwar können die Ärzte die Krankheit mit der Therapie jederzeit stoppen - doch die Verunstaltungen quälen die Menschen ein Leben lang.

Außer in Indien ist die Lepra unter anderem in Brasilien, Indonesien, Birma, dem Kongo, Mosambik und Madagaskar verbreitet. Nach Meinung von Experten tragen die Regierungen der Verbreitungsländer selbst dazu bei, indem sie die Krankheit ignorieren, statt sie zu bekämpfen. "Die Lepra gilt als rückständige, mittelalterliche Krankheit", analysiert Hövekenmeier von der DAHW. "Politiker aufstrebender Länder wie Indien und Brasilien wollen damit nichts zu tun haben."

epd