Warum Oskar den Lafo macht: Drei Fragen an Ernst Elitz (7)
Pointierte Anmerkungen zu Politik und Zeitgeschehen: Als erfahrener Journalist ist Ernst Elitz gewohnt, den Mächtigen kritisch auf die Finger zu schauen, verschleiernde Worthülsen zu knacken und das Zeitgeschehen bisweilen bissig zu kommentieren - etwa den Rückzug des Oskar Lafontaine aus dem linken Berliner Haifischbecken ins Saarbrücker Biotop oder die ins Chaos driftende Gesundheitspolitik von Merkel, Rösler & Co.
29.01.2010
Die Fragen stellte Ulrich Pontes

evangelisch.de: Ein schillernder und polarisierender Politiker hat seinen Rückzug aus der Bundespolitik angekündigt - Oskar Lafontaine. Werden Sie Ihn vermissen? Und wird in absehbarer Zeit jemand das Loch, das da plötzlich an der Spitze der Linkspartei klafft, füllen können?

Ernst Elitz: Ich werde schnell darüber hinwegkommen, dass sich der Irrwisch der deutschen Politik, Oskar Lafontaine, Medienenthaltsamkeit verordnet hat. Aber alle Erfahrungen sprechen dafür, dass er sich – sobald er wieder bei Kräften ist – lauthals aus seinem saarländischen Biotop zurückmelden wird. Oder soll er mit Sonnenhut vor seinem dem Renaissancebaumeister Palladio nachempfundenen Eigenheim sitzend den vorbei flanierenden Landsleuten zuwinken? Das ist nicht Oskars Art. So schmerzlich sein durch Krankheit verursachter Rückzug ist, über lang hätte die Partei sich ohnehin von ihm trennen müssen. Er genießt den öffentlichen Auftritt, auf Vorstandssitzungen war er selten zu sehen. Nachdem er den Liebling der östlichen Landesverbände, Dietmar Bartsch, kalt abserviert hat, wären die erfolgreichen und koalitionsbereiten Ostgenossen demnächst auf Konfrontationskurs gegangen. Dem hat er sich jetzt entzogen. Die von Gysi zusammengewürfelte neue Führungsgruppe ist ein Übergangsphänomen. Gesine Lötzsch hat freimütig bekannt, nun müsse die Partei erst mal vereinigt werden – zwischen Ost und West, Fundamentalisten und Pragmatisten, Sozialisten und Kommunisten. Lafontaine war die Zugnummer für unzufriedene Wessis; mit Gysi hat er den rhetorischen Kitt geliefert. Jetzt beginnt die Parteiwerdung der Linken. Und dann kommt wieder Dietmar Bartsch.

evangelisch.de: Ein Dauerbrennerthema ist unser Gesundheitssystem - trotz häufiger Reformen scheint sich der Berg an Problemen immer höher aufzutürmen. Läuten die angekündigten Zusatzbeiträge einiger Krankenkassen nun das Ende der solidarischen Finanzierung ein? Immerhin bleiben die Arbeitgeber außen vor, und die acht Euro wirken schon wie eine einkommensunabhängige kleine Kopfpauschale.

Ernst Elitz: Das sind sie auch. Und so hatte die CDU sich das auch gedacht, als sie in der vorigen Legislaturperiode dem Gesundheitsfonds zugestimmt hat. Jetzt, wo sich Unmut regt, schlägt die Kanzlerin die Hände über dem Kopf zusammen und lässt den FDP-Gesundheitsminister die Suppe auslöffeln. Und die Verbraucherministerin (CSU) warnt die Versicherten davor, von einer Kasse in die andere zu wechseln. Dabei wurde den Verbrauchern vor einem Jahr gerade der Wechsel als Königsweg in eine preisgünstige Versorgung gepredigt. Wir haben 150 gesetzliche Krankenkassen. Das sind ungefähr 120 zu viel. Entweder der Gesundheitsminister verschreibt diesem Monster endlich harten Wettbewerb. Dann überleben die Kassen, die gute Verträge mit Kliniken, Ärzten und Pharmaunternehmen schließen, die Bürokratie abspecken, Vorsorge und Fitness zur Pflicht für ihre Mitglieder machen. Oder er entscheidet sich gleich für eine Staatskrankenkasse. Die wird dann ein echtes Milliardengrab.

evangelisch.de: Nicht nur aus den USA schwappen manche Moden und Themen nach Deutschland: Wie es aussieht, stößt die breite Ablehnung der Burka in Frankreich nun auch hier eine Debatte über ein Verbot des Ganzkörperschleiers an. Die Zahlen von Burkaträgerinnen und damit die praktische Relevanz sind hier wie dort verschwindend, die Symbolkraft ist offenbar riesig: Halten Sie die Diskussion und möglicherweise ein Verbot für angebracht? Oder handelt es sich um eine abseitige Detailfrage, die vom eigentlichen Thema - nämlich Integration der Muslime - eher ablenkt und womöglich weitere Ressentiments schürt?

Ernst Elitz: In Deutschland ist mir bisher lediglich einmal eine Burkaträgerin begegnet. Ich gestehe, ich habe schnell den Blick abgewandt. Ihre beiden Begleiter sahen nach Bombenalarm aus. Was Kopftücher angeht, teile ich die gängige Hysterie nicht. Eine charmante Muslima mit diesem modischen Accessoire ist mir lieber als eine von reichlichem Popcorngenuss gezeichnete deutsche Eingeborene, die auf der Straße halbnackt ihre Piercings zur Schau stellt. Da kann ich den türkischen Vater verstehen, der sich mit der hiesigen Nacktkultur nicht anfreunden mag und auf Kopftuch besteht. Ist die junge Frau erst aus dem Haus, macht sie sowieso, was sie will. Da wir auch den Nonnen keinen Zivilkleiderzwang verordnen wollen, sollten wir uns mit jeder religiös oder modisch begründeten Verhüllung abfinden.Nicht mit der Burka, denn in der westlichen Zivilisation zeigt man Gesicht. Insoweit ist das keine Detail-, sondern eine Grundsatzfrage.


Prof. Ernst Elitz, Jahrgang 1941, lebt als freier Publizist in Berlin. Nach seinem Studium der Germanistik, Theaterwissenschaften, Politik und Philosophie kam er über Stationen wie den "Spiegel" und das öffentlich-rechtliche Fernsehen zum Deutschlandradio, das er als Gründungsintendant von 1994 bis 2009 leitete.