Gerhart Baum: Datenschutz ist ein Freiheitsthema
In jüngster Zeit sammelt der Staat vermehrt Daten über seine Bürger. Der FDP-Politiker Gerhart Baum gehört zu denjenigen, die die Sammelwut kritisch sehen, weil sie Gefahren birgt.
28.01.2010
Von Frauke Weber

Mit dem Elektronischen Entgeltnachweis (Elena) startet der Staat eine weitere Datenbank, in der Millionen Daten der Bürger erfasst und gespeichert werden. Datenschützer haben rechtliche Bedenken, ob der schieren Größe der Datenbank und ihrer Auswirkungen. Zu den Skeptikern gehört auch Gerhart Baum, FDP-Mitglied und früherer Bundesinnenminister. Er sagt: "Datenschutz ist ein Freiheitsthema." Im Interview nimmt er Stellung zu rechtlichen und gesellschaftlichen Aspekten der derzeit beliebten Datensammlungen.

evangelisch.de: Im Januar ist der Elektronische Entgeltnachweis – kurz Elena – gestartet. Dabei müssen Arbeitgeber bestimmte Daten an eine zentrale Speicherstelle übermitteln. Was bedeutet das für die Bürger?

Gerhart Baum: Elena ist höchstproblematisch zu sehen, allein schon weil eine Riesendatei aufgebaut wird. In diese Datei werden auch Personen aufgenommen, die Elena niemals nutzen werden. Elena ist also wie eine Art große Vorratsdatenspeicherung zu sehen, ähnlich wie bei der Speicherung von Telekommunikationsdaten, wenn auch mit anderen Wirkungen.

evangelisch.de: Welche Bedenken gibt es gegen Elena aus verfassungsrechtlicher Sicht?

Baum: Es gibt allein schon Grundbedenken, weil durch riesige Datenbanken Begehrlichkeiten entstehen, die dazu verführen, Menschen in Profilelemente zu zerlegen. Solche Datenbanken ermöglichen irgendwann umfassende Persönlichkeitsprofile und sind nicht im Sinne der Datenaskese. Elena trägt auf jeden Fall einen Keim der Verfassungswidrigkeit in sich. Wie es konkret weitergehen kann, hängt von zwei Punkten ab: Wie wird die Rechtsverordnung genau aussehen, welche Daten werden erfasst? Und weiterhin: Wie wird das Bundesverfassungsgericht am 4. März zur Vorratsdatenspeicherung bei der Telekommunikation entscheiden? Erst danach lässt sich absehen, ob und wie Klagen gegen Elena erfolgversprechend aussehen könnten. Problematisch ist aus meiner Sicht zudem, dass bei Elena nicht das Parlament über den Fragenkatalog entscheidet, sondern es dieses Recht an die Bundesregierung abgegeben hat. Das Parlament hat somit keine Gestaltungsmöglichkeit dabei, welche Daten der Arbeitgeber an die Zentrale Speicherstelle übermitteln muss. Es wäre dem Bundestag dringend zu empfehlen, sich mit dem ganzen Komplex erneut zu befassen.

Datenbank als eine offene Tür

evangelisch.de: Anderes Beispiel: Seit 2005 dürfen Sozialämter und Behörden beim Bundeszentralamt für Steuern Konten der Bürger überprüfen. Zuletzt sind die Anfragen stark angestiegen. Zeigt das die Richtung an, in die es bei Datensammlungen geht?

Baum: Absolut. Innovationen tragen eine Dynamik in sich. Einmal eingeführt, ist eine Datenbank wie eine offene Tür – trotz Schutzmechanismen. Die Datenverarbeitung hat sich in den letzten Jahren im öfffentlichen und privaten Bereich explosionsartig ausgedehnt. Wir brauchen hier eine umfassende Bestandsaufnahme und Schutzmaßnahmen des Gesetzgebers – eine umfassende Reform des Datenschutzrechts.

evangelisch.de: Nicht nur bei Elena, sondern auch bei anderen staatlichen Datenbanken begründen Befürworter die Einrichtung damit, dass Millionen Euro an Kosten gespart werden könnten, wenn die Kommunikation elektronisch abläuft. Ist es überhaupt zulässig, Einsparungen gegen private Daten aufzurechnen?

Baum: Nein. Das ist ein Scheinargument, auf das man sich auf keinen Fall einlassen sollte. Um es klar zu formulieren: Wir geben Freiheit auf, um Verwaltungsprozesse zu erleichtern. Das kann doch nicht wahr sein!

Wir werden zu Risikokfaktoren

evangelisch.de: Die vielen Datenbanken könnten auch darauf schließen lassen, dass der Staat das Vertrauen in seine Bürger verliert. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Baum: Der Staat beruht auf dem Vertrauen, das die Bürger in ihn setzen. Viele Maßnahmen im Bereich der inneren Sicherheit sind von Misstrauen gegen unverdächtige Bürger geprägt – wir alle werden zu Risikofaktoren.

evangelisch.de: Verlieren wir langsam die Herrschaft über unsere Daten? Oder anders gefragt: Brauchen wir ein neues Grundverständnis, dass Daten untrennbar mit einem Menschen verbunden sind?

Baum: In den vergangenen Jahrzehnten ist das Verständnis für die Gefährdung der eigenen Daten verloren gegangen. Aber das letzte Jahr macht Hoffnung, dass die Menschen doch wieder sensibler für dieses Thema werden. Insbesondere jüngere Menschen, die zwar freizügiger mit ihren Daten umgehen, haben hier einen Widerstand gegen den Schnüffelstaat, ja auch gegen die Schnüffelgesellschaft entwickelt. Wir müssen Dämme, die bereits eingerissen worden sind, wieder neu aufbauen. Dazu bedarf es auch einer Bürgerbewegung gegen die steigende Datenerfassung und den Datenmissbrauch.

Datenaskese üben

evangelisch.de: Jetzt sammelt nicht nur der Staat Daten, sondern auch viele private Anbieter. Was kann jeder von uns tun, um sich zu schützen?

Baum: Jeder kann auf seine Daten achten und – soweit es möglich ist – sie nur dann herausgeben, wenn es unbedingt notwendig ist. Stichwort ist hier die Datenaskese. Natürlich befinden wir uns alle in einem Spagat, schließlich möchten wir die neuen Kommunikationsmöglichkeiten ja auch nutzen, die alles in allem gesehen ein großer Gewinn sind. Es geht auch um die Bürgerrechte im Netz.

Info zu Elena:

Elena ist die Abkürzung für den "Elektronischen Entgeltnachweis". Seit Januar müssen Arbeitgeber bestimmte Datensätze von allen rund 40 Millionen Beschäftigten an eine zentrale Speicherdatei der Deutschen Rentenversicherung in Würzburg übermitteln. Mit dem neuen Nachweis sollen Verwaltungskosten für Arbeitgeber und Behörden sowie Lauferei für Antragsteller von Sozialleistungen gesenkt werden. Umstritten ist allerdings, was genau die Arbeitgeber übermitteln sollen, dazu gehören auch Fehlzeiten durch Krankheiten, Abmahnungen und Kündigungen. Ein Widerspruchsrecht gegen die Teilnahme am Elena-Verfahren steht Beschäftigten nicht zu. So werden auch die Daten von Beamten übermittelt, obwohl es höchst unwahrscheinlich ist, dass ein Beamter je einen Antrag auf Arbeitslosengeld stellen wird. Zum Start 2012 können zunächst drei Anträge über Elena gestellt werden: Arbeitslosengeld, Elterngeld, Wohngeld.


Frauke Weber arbeitet als Redakteurin bei evangelisch.de für Wirtschaft und Magazin.