Acht Jahre nach dem Sturz der radikal-islamischen Taliban will die internationale Gemeinschaft einen Strategiewechsel bei ihrem Engagement in Afghanistan einleiten. Hauptziele sind die schrittweise Übergabe der Verantwortung in afghanische Hände und ein Versöhnungsprozess mit den aufständischen Taliban. Darauf verständigten sich am Donnerstag die Außenminister von mehr als 60 Ländern auf der Afghanistan-Konferenz in London. Der britische Premier Gordon Brown sprach von einem Wendepunkt.
Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) begrüßte die Ergebnisse. Er hob besonders die geplante Übergabe der Sicherheitsaufgaben an Afghanen hervor: "Wir wollen nicht, dass der Einsatz in Afghanistan etwas ist für den Sankt Nimmerleinstag", sagte der Minister, der Deutschland auf der Konferenz vertrat. "Das heißt doch nicht, dass wir danach unsere Verantwortung für die Menschen in Afghanistan vergessen", räumte er ein. Afghanistan werde die Völkergemeinschaft noch lange beschäftigen.
Auch die afghanische Regierung wertete die Konferenz als Erfolg. "Heute war wieder ein guter Tag für Afghanistan", sagte der afghanische Außenminister Rangin Dadfar Spanta. Die Afghanen seien bereit, bis in fünf Jahren landesweit die Verantwortung für die Sicherheit zu übernehmen.
Abzug kann 2011 beginnen
Der britische Außenminister David Miliband hob die große Einigkeit der Teilnehmerstaaten der Konferenz hervor. Die Übergabe der Sicherheitsverantwortung in ersten Provinzen könne schon Ende dieses Jahres beginnen. Für das erste Jahr seien zudem bereits 140 Millionen US-Dollar für den geplanten Reintegrationsfonds für ausstiegswillige Taliban zugesagt. Den Plänen zufolge ist er auf fünf Jahre angelegt und soll insgesamt mindestens 500 Millionen Dollar umfassen. Miliband stellte auch eine Erhöhung der Entwicklungshilfe um 50 Prozent in Aussicht, wenn die afghanische Regierung ihre Reformzusagen erfülle.
Die ausländischen Truppen werden nach Worten des britischen Premier Brown auf 135.000 Soldaten aufgestockt. Zugleich solle die Zahl der afghanischen Soldaten bis Oktober 2011 auf rund 170.000 und die der Polizisten auf 134.000 steigen. Aus Sicht der USA und Deutschlands kann der Abzug der ersten ausländischen Truppen im nächsten Jahr beginnen. Ein konkretes Datum wird aber nicht genannt.
Der afghanische Präsident Hamid Karsai, der im vergangenen Jahr in umstrittenen Wahlen wiedergewählt worden war, nannte Frieden und Versöhnung als höchstes Ziel seiner Regierung. Man reiche allen Landsleuten die Hand, die nichts mit dem Terrornetzwerk Al Kaida zu tun haben und die Verfassung respektieren. Er kündigte die Einsetzung eines nationalen Friedensrats und die Abhaltung einer traditionellen Ratsversammlung (Loja Jirga) zu Frieden und Versöhnung an. Als Vermittler nannte er den saudischen König Abdullah. Auch Pakistan sei eingeladen. Karsai sicherte zugleich zu, dass die Parlamentswahl im Herbst "frei und fair" verlaufen werde.
850 weitere deutsche Soldaten
Die Bundesregierung will bis zu 850 deutsche Soldaten zusätzlich nach Afghanistan entsenden und die Entwicklungshilfe auf 430 Millionen Euro pro Jahr nahezu verdoppeln. Derzeit umfasst das deutsche Kontingent 4.500 Soldaten. Deutschland stellt damit nach den USA und Großbritannien die drittgrößte Zahl an Sicherheitskräften für die internationale ISAF-Truppe. Zudem will Deutschland in den nächsten fünf Jahren 50 Millionen Euro für die Integration kriegsmüder Taliban bereitstellen.
Der schwedische Diplomat Staffan di Mistura (63) wird ab März neuer Leiter der UN-Mission in Afghanistan. Er besitzt auch einen italienischen Pass und ist zurzeit beim Welternährungsprogramm in Rom tätig. Zuvor war er UN-Gesandter im Irak. Di Mistura wird in Afghanistan Nachfolger des Norwegers Kai Eide, der nach zwei Jahren Amtszeit ausscheidet.
Afghanistan bekommt 1,6 Milliarden US-Dollar Schulden erlassen. Darauf verständigten sich die Weltbank, der Internationale Währungsfonds und wichtige Gläubigerländer. Das Land musste dafür Auflagen bei seiner Finanz- und Haushaltspolitik erfüllen. Damit werden Afghanistan seit 1996 fast alle seine Schulden in Höhe von ingesamt elf Milliarden Dollar Schulden gestrichen.