Acht Jahre nach dem Sturz der radikal-islamischen Taliban ist ein durchschlagender Erfolg der internationalen Bemühungen um Demokratie und Stabilität für das Land am Hindukusch nicht absehbar. Ebenso wie das Murren etwa der deutschen Bevölkerung über den Militäreinsatz wächst die Überzeugung, dass eine Änderung der Strategie überfällig ist, dass neben militärischen verstärkt politische und zivile Anstrengungen nötig sind.
Wer kommt nach London?
Rund 70 Delegationen und Außenminister, darunter US-Außenministerin Hillary Clinton, der afghanische Präsident Hamid Karsai und der deutsche Außenminister Guido Westerwelle.
Was sind die zentralen Themen des Treffens?
Auf der Konferenz soll die Afghanistan-Strategie für die kommenden eineinhalb Jahre festgezurrt und zumindest ein Grundstein für einen endgültigen Abzug gelegt werden. Vor allem wird es darum gehen, wann und wie die Kontrolle über die Gebiete den afghanischen Sicherheitskräften übergeben werden kann. Bis Oktober nächsten Jahres will die westliche Koalition 170.000 afghanische Soldaten und 134.000 Polizisten ausbilden. Daneben spielt der Kampf gegen die Korruption eine große Rolle. Die internationale Gemeinschaft will hier mehr Verpflichtungen von der afghanischen Regierung. Auch wird die Zusammenarbeit mit den Nachbarländern Afghanistans besprochen, sowie die Hilfe für den wirtschaftlichen und sozialen Aufbau. Als besonders schwieriger Punkt gilt die Annäherung an die radikalislamischen Taliban.
Um was geht es bei der "Aussöhnung" mit den Taliban?
Diskutiert werden dabei zwei Dinge. Das eine ist die sogenannte "Reconciliation". Hier geht es darum, die Führung der Taliban in Verhandlungen einzubinden und gegebenenfalls auch irgendwann an einer Regierung zu beteiligen. Bislang fordert Präsident Karsai die Anerkennung der Verfassung als Grundlage für Gespräche, während die Taliban einen Abzug der ausländischen Truppen voraussetzen. Der andere Punkt ist die "Reintegration" - also die Wiedereingliederung ehemaliger Taliban-Kämpfer in die Gesellschaft. Die Länder wollen dazu einen Fonds beschließen. Aus dem sollen unter anderem Jobs bezahlt werden, die die Taliban übernehmen können - statt zur Waffe zu greifen.
Wie viel Geld soll in dem Fonds sein?
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat von 350 Millionen Euro (rund 500 Millionen Dollar) gesprochen, an denen sich Deutschland mit 50 Millionen beteiligen wolle. Experten schätzen jedoch, dass rund eine Milliarde Dollar nötig seien.
Was sagen Experten dazu?
Die neue Betonung politischen und zivilen Engagements entspricht den Forderungen vieler Experten. So sagte etwa der ehemalige UN-Sondergesandte für Afghanistan, Tom Koenigs (66): "Hätte man diesen Strategiewechsel vor fünf Jahren vollzogen, wären wir sicher in Afghanistan weiter." Und der Ko-Direktor des "Afghanistan Analysts Network" und Afghanistan-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, Thomas Ruttig, sieht für eine militärische Lösung den Zug mittlerweile abgefahren: "Wir müssen viel stärker über einen breiten politischen Ansatz nachdenken", sagte er zu tagesschau.de. Auf das geplante Aussteigerprogramm setzt er keine großen Hoffnungen, wohl aber - neben entwicklungspolitischen Maßnahmen - auf einen Dialog mit den Aufständischen: "Über politische Ziele kann man immer reden, auch mit den Taliban." Dazu müsste allerdings die afghanische Regierung einen Konsens der Bevölkerung herbeiführen - das Ausland könne nicht diktieren, wie viel Zugeständnisse an die Taliban nötig seien.
Was ist mit Truppenverstärkungen?
Derzeit sind rund 85.000 Soldaten aus 43 Ländern in der Schutztruppe ISAF im Einsatz, die von der NATO geführt wird. Die USA sind außerdem mit der Militäraktion "Operation Enduring Freedom" (OEF) in Afghanistan, an ihr waren Ende des Jahres rund 22 000 US-Soldaten beteiligt. US-Präsident Obama hat Ende 2009 beschlossen, insgesamt 30.000 zusätzliche Soldaten nach Afghanistan zu schicken, damit wird die internationale Schutztruppe ISAF wird auf rund 100.000 Mann wachsen. Andere ziehen nach - auch die deutsche Regierung will das Bundeswehrkontingent von maximal 4.500 auf 5.350 Mann erhöhen. Das Mantra der NATO lautet: Das Ausland muss zunächst noch mehr Soldaten nach Afghanistan schicken, vor allem Ausbilder. Wenn dann genügend Soldaten und Polizisten ausgebildet sind, kann die Übergabe der Verantwortung an die Afghanen - im Klartext: der Rückzug der ISAF-Soldaten - beginnen.
Wie sieht es mit ziviler Hilfe aus?
Neben den 50 Millionen Euro für den Wiedereingliederungsfonds für Taliban-Aussteiger verdoppelt Deutschland die Entwicklungshilfe auf 430 Millionen Euro jährlich und plant die Aufstockung der Polizei-Ausbilder von 123 auf rund 200 Fachkräfte. Kritiker beklagen, dass die 430 Millionen Euro noch immer weit unter den Ausgaben für den militärischen Einsatz liegen. Zu den zusätzlichen Polizei-Ausbildern kommen zudem skeptische Töne von Gewerkschaftsseite: Die deutsche Polizei sei eine zivile Polizei und nicht bereit, paramilitärische Aufgaben zu übernehmen, erklärten die Spitzen der beiden deutschen Polizeigewerkschaften. Die Regierung könne Polizisten nicht mit Gewalt in ein Bürgerkriegsland schicken.
Ist die kirchliche Kritik gehört worden?
Die Äußerungen zur künftigen deutschen Strategie und der sorgfältigen Begründung der Truppenaufstockung kann man zumindest so interpretieren, dass Margot Käßmanns Kritik am Bundeswehr-Einsatz gehört wurde. "Wir werben dafür, dass nicht die militärische Logik das Denken, Planen und Organisieren für Afghanistan beherrscht, sondern dass den zivilen Anstrengungen der Vorrang zukommt, der ihnen in friedensethischer Hinsicht gebührt", mahnte die EKD-Ratsvorsitzende nun vor der Afghanistan-Konferenz noch einmal gemeinsam mit anderen leitenden Geistlichen der Evangelischen Kirche in Deutschland.
Was sagen nichtstaatliche Hilfswerke?
Ihre Warnungen fanden offenbar wenig Gehör: Sie wollen den Wiederaufbau nicht weiter mit militärischen Zielen verknüpft wissen, oder dem Werben der Militärs "um die Herzen und Köpfe" der Afghanen. "Das 'Rezept Geld' allein reicht nicht aus", sagte Wolfgang Jamann, Generalsekretär der Deutschen Welthungerhilfe. Die internationale Gemeinschaft sei unter dem Druck, möglichst viele Mittel schnell einzusetzen, in eine Falle getappt: Sie habe sich die Unterstützung zweifelhafter lokaler Machthaber erkauft. "Damit hat sie die Glaubwürdigkeit des Westens in den Augen der afghanischen Bevölkerung schwer beschädigt", kritisiert das Hilfswerk.
Wird in London ein Abzug der Truppen beschlossen? Wann wird es soweit sein?
Die beteiligten Staaten waren erpicht darauf, dass kein konkretes Datum für einen endgültigen Abzug festgelegt wird. Kanzlerin Merkel betont etwa immer wieder, ein konkretes Datum zu nennen wäre "falsch" - gleichzeitig unterstütze sie aber die Bemühungen der afghanischen Regierung, bis 2014 selbst für Sicherheit zu sorgen. Die Verantwortung über erste, sichere Gebiete soll bereits Ende dieses Jahres oder spätestens Anfang 2011 übergeben werden. US-Präsident Barack Obama will dann im Sommer nächsten Jahres mit dem Rückzug beginnen, auch Bundesaußenminister Westerwelle hofft nach eigenem Bekunden auf Beginn des Abzugs noch 2011. Experten halten das aber für zu optimistisch.
Ist dann 2014 oder 2015 das Thema ausgestanden?
Wohl nicht in jeder Hinsicht, selbst wenn die Truppen dann abgezogen sein sollten. Bundeskanzlerin Merkel hat am Mittwoch der afghanischen Regierung eine langfristige deutsche Unterstützung bei der Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte zugesagt: "Die weitere auch finanzielle Unterstützung für die afghanischen Polizei und Armee dauert länger als die deutsche Sicherheitspräsenz in Afghanistan", so die Kanzlerin. Ein zu schneller Rückzug aus der Verantwortung könne die bisher geleistete Aufbauarbeit schnell zerstören.
Wie wichtig ist die Konferenz?
Vor allem in Deutschland sorgt die Konferenz seit Wochen für Schlagzeilen, weil die Bundesregierung daran ihre künftige Afghanistan-Strategie festmacht. Es ist jedoch zweifelhaft, dass die Londoner Konferenz wirklich einen Durchbruch für Afghanistan bringt. Die britische Regierung hat die Erwartungen schon heruntergeschraubt: London ist demnach hauptsächlich dazu da, Vorschläge zu machen, die dann auf einer Folgekonferenz in Kabul im März oder April überprüft und nachgebessert werden sollen.