Weil der Wahnsinn nie wieder geschehen darf
65 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz rufen die Fußball-Bundesligisten zum Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus auf - per Lautsprecher vor den Begegnungen am Wochenende. Die Aktion greift auf italienische Vorbilder zurück und wurde von der evangelischen Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau ins Leben gerufen.
27.01.2010
Von Bernd Buchner

Frankfurt, Commerzbank-Arena, 5. Dezember 2009: Alltag in der Fußball-Bundesliga. Eintracht-Verteidiger Maik Franz (Bild, im roten Dress) provoziert seinen Mainzer Gegenspieler Aristide Bancé (links) mit rassistischen Sprüchen, nennt ihn "dreckigen Neger", beleidigt die Eltern des dunkelhäutigen Stürmers. Franz weist die Vorwürfe hinterher weit von sich. Bancé wird wegen eines "Stinkefingers", den er seinem Kontrahenten nach den Schlusspfiff entgegenstreckt, zu 6.000 Euro Geldstrafe verurteilt.

Rassismus ist im deutschen Fußball eher die Regel als die Ausnahme – auf dem Platz, vor allem aber auf den Rängen. "Wenn man in die Stadien reinschaut, sieht man, dass da viele Nazis dabei sind", betont Klaus Schultz. Der Diakon hat deshalb vor einigen Jahren eine ungewöhnliche Aktion gestartet: Jährlich um den Holocaust-Gedenktag herum wird per Stadiondurchsage bei den Spielen der 1. und 2. Bundesliga an die Opfer des NS-Regimes erinnert – und zum Kampf gegen Rassismus und Fremdenhass aufgerufen.

Idee in einem Gottesdienst aufgegriffen

Vorbild war eine Initiative von Spielern und Schiedsrichtern in der italienischen Seria A, wo es sehr häufig zu Ausfällen etwa gegen dunkelhäutige Fußballer kommt. "Wir haben das im Jahr 2003 in einem Gottesdienst aufgegriffen", erzählt Schultz, der in der evangelischen Versöhnungskirche der KZ-Gedenkstätte Dachau tätig ist. Die Deutsche Fußball-Liga (DFL) rief die Vereine zum Mitmachen auf. Diese ließen sich nicht lange bitten. 2005 gab es erstmals die Durchsagen.

An diesem Wochenende ist es wieder so weit: 65 Jahre nach der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch die russische Armee wird vor den Bundesligaspielen aller Menschen gedacht, die wegen ihrer Religion, Herkunft oder politischen Überzeugung ausgegrenzt, verfolgt und ermordet wurden – "auch innerhalb des Fußballs. Wir ehren sie und gegen ihnen damit einen Teil ihrer Menschenwürde wieder." So heißt es in der vorgeschlagenen Durchsage. Auch ein längerer Text für die Stadionzeitungen wird angeboten.

Bündnis über Vereinsgrenzen hinweg

Der Initiative "Initiative Erinnerungstag im deutschen Fußball" gehören neben der Dachauer Versöhnungskirche bisher auch der TSV Maccabi München, die "Löwenfans gegen Rechts" und das Dortmunder Institut für Fußball und Gesellschaft an. "Jeder, der Interesse hat, kann mitmachen", so Schultz. Entscheidend ist für ihn, dass die Aktion neben der Erinnerung auch einen klaren Bezug zur Gegenwart hat. Weil der NS-Wahnsinn nie wieder geschehen dürfe, "verbünden wir uns über die Vereinsgrenzen hinweg", heißt es in dem Aufruf.

Nicht nur die Vereine, auch Faninitiativen stehen dem Projekt aufgeschlossen gegenüber, freut sich der Diakon. Die "Sechziger" aus München machen mit, die Dortmunder, selbst die hartgesottene "Schickeria", die dem FC Bayern anhängt, zeigt Geschichtsbewusstsein: Kurt Landauer, legendärer jüdischer Bayern-Präsident bis 1933, wurde vor kurzem mit einem riesigen Stadiontransparent geehrt. Sein Neffe Uri Siegel ist regelmäßig Gast zum Zeitzeugengespräch bei der "Schickeria".

Fußball-Nationalspieler starb in Auschwitz

Das Thema "Fußball unterm Hakenkreuz" hat in jüngster Zeit große Aufmerksamkeit erfahren. Auch der Deutsche Fußballbund (DFB) ist aufgeschlossen. Seit 2005 verleiht der Verband den Julius-Hirsch-Preis gegen Diskriminierung im Sport. Der jüdische Nationalspieler starb 1943 in Auschwitz-Birkenau. Wie es sogenannten Nicht-Ariern in der Fußballwelt des "Dritten Reiches" erging, zeigt etwa die Wanderausstellung "Kicker, Kämpfer, Legenden", die bereits an vielen Orten in der Bundesrepublik zu sehen war.

Gegen Hassparolen in Stadien wandte sich auch die DFL-Initiative "Zeig' Rassismus die Rote Karte", die vor einigen Jahren auf große Resonanz stieß. Erinnerung und Engagement sind zwei Seiten einer Medaille, weiß Klaus Schultz und freut sich auf die Aktion am Samstag. Zwar sei der Rassismus im Amateurbereich das größere Problem ("Da haben wir wenig Einblick"), aber die Bundesliga sei nun einmal das "Schaufenster des Fußballs" – und biete große Aufmerksamkeit. Schade nur, so der Diakon, dass das Fernsehen die Initiative zum Holocaust-Gedenktag bisher "komplett ignoriert". Eine Erwähnung in einem der "Sportschau"-Spielberichte, das wäre doch was. Statt eines Interviews mit Maik Franz.


Bernd Buchner ist Redakteur bei evangelisch.de für die Ressorts Religion und Umwelt.