Experiment: Einen Tag unterwegs mit Burka
Frankreich bereitet ein weitgehendes Verbot vor, in Italien diskutiert man auch darüber: die Burka erscheint vielen als Stoff-Gefängnis für Frauen. Aber wie fühlt man sich eigentlich unter dem Gewand? Studentinnen aus Dortmund haben es in einem ungewöhnlichen Seminar ausprobiert.
27.01.2010
Von Andreas Block

Der Dortmunder Westenhellweg ist eine der meistbesuchten Einkaufsmeilen Deutschlands. Es gibt zwei H&M-Geschäfte, einen Saturn auf drei Etagen, McDonald’s natürlich – und eine Beate-Uhse-Filiale.

In letztere, so viel ist sicher, verirren sich streng gläubige muslimische Frauen eher selten. Deshalb witterten Kunden und Verkäufer wohl einen verfrühten Karnevals-Scherz, als im Erotik-Geschäft vor Weihnachten eine völlig verhüllte Frau auftauchte, sich im dunklen Licht unsicher hervortastend. "Bei Beate Uhse haben wir kaum Reaktionen bekommen", sagt Anna Polcyn. "Ein lustiger Versuch war es trotzdem."

Die angehende Lehrerin ist eine der Studentinnen im Seminar von Beate Schmuck. Die Professorin am Institut für Kunst und materielle Kultur der TU Dortmund hat ein unbequemes, mutiges Projekt gestartet. Sie will herausfinden: Wie reagieren Menschen im Ruhrgebiet auf eine Frau, die einen Ganzkörperschleier trägt? Und wie fühlen sich die Studentinnen unter dem zurzeit wohl umstrittensten Stück Stoff der Welt?

Gesetz in Frankreich

Die Burka, sagen Kritiker, ist das Symbol für die Unterdrückung der Frauen im radikalen Islam. Eine Kommission in Frankreich, wo etwa 400 Frauen eine Burka tragen, hat entschieden, dass der Schleier gegen die Werte der Republik verstößt.

In Deutschland, schätzt Beate Schmuck, verhüllen noch weniger Frauen ihren gesamten Körper. "Kopftücher gehören ja längst zum Straßenbild im Ruhrgebiet. Wir wollten die Menschen aber bewusst mit dem Fremden konfrontieren." Und eine Burka ist in Deutschland eben immer noch so fremd, dass sie nicht einfach zu bekommen ist. Beate Schmuck hat schließlich drei blaue Ganzkörperschleier bei eBay ersteigert. Ein Anbieter legte sogar einen Koran mit drauf.

Ganz in blau – so sind die Studentinnen im Vorweihnachtsrummel zum ersten Mal losgezogen. Burka-Trägerin Birthe Blotenberg sagt: "Ich habe mich unsicher gefühlt, konnte mich nicht orientieren." Eine Kommilitonin musste ihr beim Slalom zwischen Glühweinständen und Ladenregalen die Richtung weisen. Auch an der Kasse im Elektronikkaufhaus kam sie alleine nicht zurecht. "Wir wollten natürlich auch provozieren, ungewöhnliche Situationen erschaffen", sagt Sara Töpper. Sie setzte sich mit der Burka in ein Lokal in der Dortmunder Innenstadt und bestellte ein Bier. Aber wie trinkt man unter einer Ganzkörperhülle? "Man muss die Burka eben ein bisschen anheben und das Glas drunter her führen."

Ständige Beobachtung

Die Studentinnen berichten von einem Gefühl, unter ständiger Beobachtung zu stehen. Sie berichten von Kindern, die die blaue Farbe der Burkas toll fanden. Von Menschen, die ihnen mehrmals in die Seite gepiekst haben – im Wissen, das unter dem Schleier das Blickfeld eingeschränkt ist. Und sie erzählen von dem Ehepaar im Senioren-Alter, das sich beim Glühweintrinken gestört fühlte und der Burka-Trägerin nahe legte, den Weihnachtsmarkt zu verlassen. Andere Menschen riefen "Afghanen-Tussi". Ihrem neugierigen Kind erklärte eine Mutter: "Das ist moderne Kunst."

"Insgesamt hat die Ablehnung überwogen", sagt Sara Töpper. Eine wissenschaftlich fundierte These könne daraus aber nicht abgeleitet werden – noch seien die Stichproben viel zu klein. Aber das Projekt soll weiter gehen, auch mit Master- oder Diplomarbeiten. Professorin Beate Schmuck kann sich weitere Orte der Konfrontation vorstellen, zum Beispiel ein Fußballstadion oder Freibad. Auf der zentralen Veranstaltung des Kulturhauptstadtjahrs am 18. Juli auf der Autobahn 40 werden die Studentinnen die Reaktionen der Öffentlichkeit präsentieren.

In der Dortmunder Innenstadt äußerte sich eine Gruppe übrigens besonders kritisch über die Burka-Trägerinnen: Die Muslime. Die Verschleierung des ganzen Körpers, so der Tenor, sei im Koran nicht vorgesehen.


Andreas Block ist freier Journalist und arbeitet in Dortmund.