Die allgemeine Schulpflicht muss erhalten bleiben
Schulverweigerer haben in den USA "politisches Asyl" erhalten. Tatsächlich fügt die Schulpflicht in Deutschland einzelnen Eltern Unrecht zu. Dennoch muss sie bestehen bleiben.
27.01.2010
Von Henrik Schmitz

"Politisches Asyl" hat nun ein Richter in den USA einem deutschen Ehepaar und dessen fünf Kindern gewährt. Die Eltern, die sich als evangelikale Christen bezeichnen, hatten sich geweigert, ihre Kinder auf eine deutsche Schule zu schicken und diese stattdessen zu Hause unterrichtet. Die USA scheinen immer noch das Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu sein. Es ist schon bemerkenswert, dass man – verkürzt formuliert – in einem Land politisches Asyl erhalten kann, nur weil man den Biologieunterricht im Heimatstaat nicht mag. Oder, dass man Asyl erhält, weil man Gesetze übertritt, die - wie die Schulpflicht - nun nicht gerade die allgemeinen Menschenrechte verletzen.

Natürlich ist die allgemeine Schulpflicht in Deutschland nicht in allen Einzelfällen die optimale Lösung. Es ist durchaus möglich, dass ein Kind durch Heimunterricht nicht nur bessere Leistungen erbringt, weil es individueller und intensiver lernt, sondern auch seine persönliche Entwicklung problemloser verläuft. Kinder etwa, die in der Schule regelmäßig gemobbt und schikaniert werden, könnten durch Heimunterricht der "täglichen Hölle Klassenzimmer" entfliehen. Eltern, die ihre Kinder selbst unterrichten wollen, sind mitunter liebevoller und umsichtiger als solche, die ihre Kinder in die Schule schicken. Länder wie Österreich ermöglichen ihren Bürgern daher durchaus einen Heimunterricht, wobei jährlich getestet wird, ob die Kinder das Lehrziel der betreffenden Schulstufe entsprechend des Lehrplans erfüllen. Im Lehrplan ist dabei unter anderem Biologieunterricht inklusive der Evolutionstheorie vorgesehen.

Schulpflicht ist eine enorme integrative Kraft

Und dennoch ist die allgemeine Schulpflicht in Deutschland eine Errungenschaft, die nicht aufgegeben werden darf. Sie ist, dies nebenbei, auch eine protestantische Errungenschaft, die ihre Wurzeln in der Reformation und bei Martin Luther hat.

Es gibt zwei Hauptargumente für die Schulpflicht. Sie stellt erstens sicher, dass alle (!) Kinder und Jugendlichen in diesem Land gebildet werden und damit das Rüstzeug für ein eigenständiges Leben erhalten. Zweitens – und dies ist beinahe entscheidender – entfaltet die Schulpflicht eine ungeheure integrative Kraft. Sie stellt sicher, dass jedes Kind nicht nur mit dem Weltbild und Wertekanon des jeweils eigenen Umfeldes - insbesondere der Familie – vertraut gemacht wird, sondern auch mit den Werten, die der Grundkonsens und die Basis unserer Gesellschaft sind. Freiheit und Demokratie gehören dazu.

Zugleich schafft die Schulpflicht die nötige Distanz von Werten. Sie sorgt dafür, dass – stets auf der Basis unseres Grundgesetzes – Bildung möglich ist, die nicht einer Ideologie unterworfen ist (auch wenn es Menschen geben mag, die gerade hinter der staatlichen Schule eine Ideologie vermuten). Gäbe es die Schulpflicht nicht, würde unsere Gesellschaft auseinanderdriften und verschärften sich die ideologischen Konflikte, die ohnehin schon bestehen.

Dass die Schulpflicht im Einzelfall nicht die optimale Lösung ist und Kindern und Eltern Unrecht zufügt, ist bedauerlich. Es sind sehr seltene Einzelfälle, die die Gesellschaft und die, die es betrifft, auszuhalten haben. Die Schulpflicht abzuschaffen wäre für Deutschland nämlich das deutlich größere Unrecht.


Henrik Schmitz ist Redakteur bei evangelisch.de und betreut die Ressorts Medien und Kultur.