In der Gedenkstunde des Bundestags für die Opfer des Nationalsozialismus steht neben der Erinnerung stets ein weiteres Thema im Zentrum: der weiterhin existierende Antisemitismus. Die Frage, wie sich die Ablehnung des Judentums und die Diskriminierung von Juden bekämpfen lässt, wie die Zahl antisemitischer Straftaten verringert werden kann, sorgt zwischen den politischen Parteien häufig für Streit.
Im Juni 2008 veranstaltete der Innenausschuss des Bundestags eine große öffentliche Expertenanhörung zum Antisemitismus in Deutschland. Die Sorgen vor allem der jüdischen Organisationen manifestierten sich dabei in einer Forderung: Die Bundesregierung solle einen Antisemitismus-Beauftragten berufen.
Es dauerte ein gutes Jahr, bis der Wunsch in etwa politisch umgesetzt wurde: Statt eines Beauftragten setzte die Bundesregierung im vergangenen September ein unabhängiges Gremium von zehn Fachleuten ein, das Ende 2011 seinen ersten Bericht vorlegen soll.
Union wollte nicht mit Linkspartei gemeinsame Sache machen
Der Weg zu dem Gremium war von politischen Querelen begleitet. Auf Initiative der Linksfraktion verständigten sich Bundestagsabgeordnete aller Fraktionen auf eine Resolution, die am 9. November 2008 zum 70. Jahrestag der Reichspogromnacht verabschiedet werden sollte. Darin wurde die Berufung eines Antisemitismus-Beauftragten gefordert. In der Unionsfraktion wuchsen jedoch Vorbehalte, gemeinsam mit den Linken einen solchen Text zu beschließen. Schließlich brachten Union, SPD, Grüne und FDP einen Antrag ein. Um das Anliegen nicht zu gefährden, blieb der Linksfraktion nichts anderes übrig, als einen eigenen, aber wortgleichen Antrag vorzulegen. Alle Fraktionen stimmten beiden Anträgen einstimmig zu.
Darin verpflichtet sich das Parlament, jeder Form des Judenhasses und des Antisemitismus schon im Entstehen entschlossen zu begegnen. "Wir sind glücklich darüber, wieder jüdisches Leben und jüdische Kultur in Deutschland zu haben", heißt es in der Erklärung. Die Forderung nach einem Beauftragten fand sich in der Schlussfassung nicht mehr. Stattdessen wurde die Einrichtung eines Expertengremiums gefordert. Es dauerte schließlich ein Dreivierteljahr, bis der Kreis aus Wissenschaftlerin und Praktikern berufen wurde und seine Arbeit aufnahm.
Hochkarätige Forscher im Gremium
Dem Gremium gehören an: der Leiter der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, Aycan Demirel, der Berliner Islamwissenschaftler Olaf Farschid, die Leiterin des Hauses der Wannseekonferenz, Elke Gryglewski, der Leiter der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg, Johannes Heil, der Historiker Peter Longerich, der Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber, der Vorstandsvorsitzende der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft", Martin Salm, der Historiker Hans-Julius Schoeps vom Moses-Mendelssohn-Zentrum der Universität Potsdam, der Politikwissenschaftler Wahied Wahdat-Hagh von der Europäischen Stiftung für Demokratie sowie die Historikerin Juliane Wetzel vom Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin.