Bei der Vorstellung der Orientierungshilfe "Im Alter neu werden können" sagte die Ratsvorsitzende der EKD, Bischöfin Margot Käßmann, die Würde des Alters müsse verteidigt werden in einer Gesellschaft, in der etwas gelte, wer jung sei. Altersgrenzen, die Menschen ab einem bestimmten Lebensalter pauschal die Mitwirkungschancen entziehen, seien den vielfältigen Lebensformen des Alters nicht mehr angemessen. "Warum dürfen mancherorts Ältere nicht in politische Gremien oder den Kirchenvorstand gewählt werden?", fragte Käßmann. Sie fügte hinzu, auch die Kirche als Arbeitgeberin müsse zu dieser Flexibilisierung beitragen. "Unsere Gesellschaft braucht die Alten, die das soziale Gewebe halten."
Die Altersgrenzen müssten unter Beachtung der Kräfte und Gesundheit der Betroffenen nicht nur nach unten, sondern auch nach oben flexibilisiert werden, sagte der Altersforscher Andreas Kruse (Heidelberg) bei der Vorstellung des Papiers. Er leitete die EKD-Kommission, die das Dokument formuliert hat. Dem Gremium gehörten neben Wissenschaftlern und Fachleuten auch die thüringische Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) und Ex-Familienministerin Renate Schmidt (SPD) an. Kruse sprach sich für einen Zeitkorridor zwischen 60 und 72 Jahren aus, in dem gleitende Übergänge mit kreativen Instrumenten wie Zu- und Abschlägen im Sozialrecht ermöglicht werden sollten.
Aufgaben für Kirche, Gesellschaft und jeden einzelnen
Mitverantwortung im Alter setze zudem eine veränderte Ansprache älterer Menschen voraus, erläuterte der Gerontologe weiter: "30 Prozent der über 70-Jährigen betonen, dass sie sich gerne bürgerschaftlich engagieren würden, ihre Bereitschaft aber nicht abgerufen werde." Gerade in der Übertragung von Mitverantwortung könnten Kirchengemeinden und Diakonie vorbildlich wirken. Weiter hob der Kommissionsvorsitzende hervor, dass die Älteren die Folgen des demografischen Wandels zu einem großen Teil selbst tragen müssten. Deren Einsatz für das Gemeinwohl trage auch zur Generationengerechtigkeit bei.
In der Orientierungshilfe sind aus evangelischer Sicht Aufgaben für den Einzelnen, die Gesellschaft und die Kirche angesichts der demografischen Veränderungen formuliert. Die Gesellschaft ist aus Sicht der EKD gefragt, Stärken und Gewinne des Alters mehr wahrzunehmen, zu bürgerschaftlichem Engagement zu ermuntern, den Dialog der Generationen sowie alternative Wohnprojekte zu fördern. Die evangelische Kirche wendet sich gegen eine überkommene Sicht auf das Alter, die alte Menschen häufig auf Einschränkungen und Defizite reduziere. Verschiedene Lebensformen älterer Menschen und deren Potenziale müssten klarer wahrgenommen werden, wird geworben.
Demografischer Wandel verändert auch die Kirche
Versorgung und Begleitung von pflegebedürftigen Menschen müssten zur "kollektiven Aufgabe" werden, wird gefordert. Trotz aller Belastungen könne Pflege auch einen Gewinn bedeuten, wirbt das Dokument. Bessere Bedingungen für die Altenpflege durch Angehörige setzten voraus mehr gesellschaftliche Anerkennung, wohnortnahe Unterstützung, Fortschritte bei der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf sowie den Aufbau von Netzwerken, um familiäre und nachbarschaftliche Pflege zu unterstützen.
Weiter werden Nachbesserungen des Pflegezeitgesetzes befürwortet, etwa durch Lohnfortzahlung und -ersatzleistungen. "Gute Pflege verlangt Wertschätzung, hohe Fachlichkeit, Zeit und eine angemessene Bezahlung", beschrieb Käßmann. Der demografische Wandel verändere auch die Kirche, stellt die EKD in der Orientierungshilfe fest: "Bis 2020 wird sich der Anteil der über 60-jährigen Gemeindemitglieder auf etwa 40 Prozent erhöhen." Ältere seien mit der Kirche besonders verbunden, was sich in deren Beteiligung an Gottesdiensten, Gruppen und Gemeindekreisen zeige. Selbstkritisch wird eingeräumt, dass kirchliche Angebote den Erwartungen der Älteren nicht immer entsprächen.