Der baden-württembergische CDU-Abgeordnete und wirtschaftspolitische Sprecher der Landtagsfraktion, Reinhard Löffler, will mehr islamische Finanzprodukte im Land – an denen sich das westliche Finanzsystem ein Beispiel nehmen kann.
evangelisch.de: Herr Löffler, Sie sind CDU-Politiker und Katholik. Jetzt kritisieren Sie den Kapitalismus und loben die Scharia. Wie passt das zusammen?
Reinhard Löffler: Das ist völlig unproblematisch. Es geht mir nämlich gar nicht darum, den Kapitalismus an sich zu kritisieren und mir die Scharia nach Deutschland zu wünschen. Was ich will, ist, über die Fehler in unserem Finanzsystem zu sprechen – und dafür lohnt sich ein Blick über unseren Tellerrand. Die moralische Verwahrlosung in unserem System hat uns an den Abgrund geführt, wir haben nicht nur eine Finanzkrise, wir haben eine Wirtschaftskrise. Das scharia-konforme System samt Zinsverbot und strengen ethischen Regeln bei Derivaten und Warentermingeschäften dagegen hat die Krise weitgehend unbeschadet überstanden. Grundsätzliche Konsequenzen aus der Finanzkrise hat Deutschland bislang nicht gezogen. Die Schulden werden noch unsere Kindeskinder zu spüren kriegen. Trotzdem geht alles weiter wie gehabt. Da muss man doch auch mal fragen: Was machen eigentlich die anderen?
Blick über den Tellerrand
evangelisch.de: Und was machen die anderen?
Reinhard Löffler: Ethische Regeln werden bei Islamic Finance klarer definiert und befolgt. Eine islamische Bank erwirbt nichts, was es nicht real gibt. Die Immobilienspekulationen in den USA, die als Auslöser der Finanzkrise gelten, hätte es nach den Regeln des Islamic Finance gar nicht geben dürfen. Auch das Handeln mit Wertpapieren ohne realen Gegenwert ist verboten – wie jegliches Glücksspiel. Geschäfte mit Alkohol oder Schweinefleisch sind ebenfalls tabu. Darüber wacht ein Scharia-Board aus Experten. Für uns ist dies kein Thema, allerdings halten ich Spekulaitonen und Wetten auf Nahrungsmittel für ethisch verwerflich. Fakt ist, dass die aktuelle Finanzkrise den islamischen Banken wenig geschadet hat. Sie bieten ihren Kunden attraktive Produkte an und sind ein wachsender Markt. Deutschland beteiligt sich im Moment kaum daran.
evangelisch.de: Kein Schweinefleisch, kein Alkohol, keine Zinsen. Passt das islamische Finanzsystem denn zu Deutschland?
Reinhard Löffler: Ich will unser System nicht abschaffen, sondern um die Produktpalette Islamic Finance ergänzen. Zu einem Dialog gehört, dass wir aufgeschlossen sind und ohne Vorurteile andere Systeme betrachten. Für uns ist beispielsweise nicht akzeptabel, dass Frauen keine Bankgeschäfte tätigen dürfen. Aber einen Markt für Islamic Finance gibt es hier in Deutschland auf jeden Fall: Immerhin leben hier vier Millionen Muslime, die größte Zahl in Europa. Und viele deutsche mittelständische Unternehmen machen Geschäfte mit der muslimischen Welt, deren Wohlstand insgesamt wächst. Es ist also eine Branche mit Zukunft. Das Geschäft mit den scharia-konformen Finanzprodukten boomt weltweit. England - vor über zehn Jahren - und Frankreich sind bereits auf den Zug aufgesprungen. In Deutschland gibt es bislang nur vereinzelt derartige Angebote. Die Deutsche Bank bietet scharia-konforme Dienstleistungen im Ausland an, das Land Sachsen hat einmalig einen islamischen Bond aufgelegt, Mercedes bietet "Islamic leasing" an und in Mannheim hat eine islamische Privatbank eröffnet. Das ist sehr wenig für ein Land wie Deutschland. In zwei Jahren ist die Chance, auf dem islamischen Markt einzusteigen, vielleicht schon vorbei.
Kritisch vom islamischen System lernen
evangelisch.de: Das wäre dann ein neuer Markt. Und auf dem etablierten Finanzmarkt ändert sich nichts.
Reinhard Löffler: Deshalb sollte man die islamische Finanzethik ja auch grundsätzlich ins Gespräch bringen. Und das tut man ja durch mehr Marktpräsenz. Wir brauchen ein System ohne diese Auswüchse, die die Finanzkrise zutage gebracht hat. Und im ethischen islamischen Wirtschaftssystem gibt es sie in dieser Form nicht. Deshalb müssen wir es unbedingt kennenlernen und kritisch von ihm lernen. Eigentlich ist es schon falsch, dass ich als Politiker die Diskussion beginnen muss. Das hätte schon längst aus dem Finanzsystem selbst kommen müssen. Aber offenbar gibt es starke kulturelle Vorbehalte. Dabei sind die islamischen Einflüsse im Finanzwesen gar nicht so fremd. Das arabische Zahlensystem ist die Basis aller Geldsysteme.
Und im Christentum galt das Zinsverbot über 2.000 Jahre lang. Auf der evangelische Seite waren Luther und Müntzer entschiedene Zinskritiker und verwiesen auf den Evangelisten Markus 10,25: "Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr geht, als dass ein Reicher ins Reich Gottes kommt." Und auch die katholische Kirche hat bis 1918 an ihrem Kanon festgehalten, dass "ein Darlehnvertrag keinen Gewinn rechtfertigt". Von all dem ist nichts geblieben. Ich halte ein säkulares Finanzsystem für richtig, keine Frage. Das heißt aber nicht, dass Ethik daraus verbannt werden muss. Und da können wir auch auf die eigenen religiösen Wurzeln zurückgreifen. Denn die Todsünde Gier hat unserem Finanzmarkt enorm geschadet – vor allem natürlich den kleinen Leuten.
evangelisch.de: Wie vermitteln Sie denen ein Zinsverbot?
Reinhard Löffler: Das ist nicht vermittelbar. Für unser Finanzsystem halte ich das auch nicht für zentral. Wir sollten für Muslime – also für muslimische Mitbürger und Handelspartner im Ausland – streng scharia-konforme Produkte anbieten. Das will ich jetzt hier in Baden-Württemberg initiieren. In unserem eigenen säkularen Finanzmarkt sollten wir vor allem die anderen ethischen Regeln überdenken. Das größte moralische Problem sind die leeren Geschäfte, bei denen aufgeblasene Zahlen hin- und hergeschoben werden und die schiere Gier bedient wird. Außerdem können ja auch gläubige Christen oder Menschen, die sich an der herrschenden Wirtschaftsmoral stören, ihr Geld islamisch anlegen. Geld ist in der Realwirtschaft deutlich besser investiert als in abstrakten Finanzinstrumenten. Und das kann man sicherlich öffentlich vermitteln.
Vorurteile abbauen
evangelisch.de: Wünschen Sie sich von Ihrer Partei, dass sie sich für scharia-konforme Beteiligungen des Landes Baden-Württemberg stark macht? Wie waren die Reaktionen bislang?
Reinhard Löffler: Bei Landesbeteiligungen bin ich eher zurückhaltend, die Banken und Unternehmen müssen das Geschäft machen, nicht das Land. Dennoch werden wir über dieses Thema im Finanzausschuss diskutieren. Auch in der CDU ist dieses Thema noch nicht sehr bekannt. Die Reaktion aus dem Finanzministerium war aber zumindest nicht ablehnend. Ich habe aber seit meinem Vorstoß viele extreme Reaktionen erhalten sowohl in negativer Hinsicht als auch in positiver Hinsicht.
evangelisch.de: Warum polarisiert das so?
Reinhard Löffler: Es sind wohl vor allem Vorurteile gegenüber dem Islam, die regelrechte Hassreaktionen hervorrufen. Darauf war ich auch gar nicht gefasst, ich wollte ja nur etwas ins Gespräch bringen, das ich für Deutschland in der Finanzkrise für elementar wichtig halte. Dass es gleichzeitig viel Begeisterung gab, liegt vor allem daran, dass die Wirtschaftskrise für die Menschen spürbar ist und sie offen für Alternativen macht.
evangelisch.de: Wie soll die baden-württembergische Alternative denn aussehen?
Reinhard Löffler: Das müssen wir noch diskutieren. Ich fände es gut, wenn unsere Landesbank, die LBBW, islamische Angebote macht. Durch deren Krise, die immer nur scheibchenweise auf den Tisch kam, bin ich selbst übrigens dazu angestoßen worden, mich nach alternativen Finanzsystemen umzusehen.
evangelisch.de: Auch für sich selbst? Wo liegt eigentlich Ihr Geld?
Reinhard Löffler: Mit meinem Geld bin ich bislang sehr traditionell. Es liegt in Aktien – allerdings von baden-württembergischen Unternehmen, die ich auch kenne. Das war mir schon immer wichtig. Und natürlich habe ich auch Aktien von IBM, in der ich Direktor bin. Glücksspiele sind das alles nicht, eher was Stabiles.
Informationen zu Islamic Finance:
Der islamische Finanzmarkt hat weltweit Wachstumsraten von etwa 15 Prozent. Verglichen mit konventionellen Finanzprodukten ist er aber insgesamt noch klein: Der Anteil von Islamic Finance an weltweiten Bankeinlagen und –krediten liegt bei rund zwei Prozent. Vor allem in arabischen Ländern wollen immer mehr Muslime ihr Geld im Einklang mit ihrer Religion anlegen. Aber auch in Europa wächst der Bedarf: Die Islamic Bank of Britain, eröffnet 2004, hat inzwischen 50.000 Kunden. Kern des islamischen Finanzsystems ist das Zinsverbot. Will sich ein Kunde ein Haus kaufen, erwirbt es die Bank für ihn. Er bezahlt dann den Kaufpreis mit einem festen Aufschlag in Raten ab. Auch Sparkonten und Termingelder laufen zinsfrei.
Auf dem Finanzmarkt wird mit verschiedenen Vertragsmodellen gehandelt. Finanzgeschäfte sollen immer reale Gegenstände beinhalten. Diese werden von den Kreditanbietern erworben und von den Kunden oder Zwischengesellschaften in Raten abbezahlt oder verleast. Möglich sind auch genossenschaftliche Beteiligungen von Bank und Kunden oder die Investition der Bank in ein Projekt, in das der Kunde die Arbeitskraft einbringt. Gängig ist auch der Handel mit "Sukuk", die auf dem ersten Blick klassischen Anleihen ähneln. Sukuk sind jedoch anders als im westlichen Finanzmarkt nicht die Anteile am Geld-Nominalwert, sondern an dem Vermögensteil, mit dem die Sukuk abgesichert sind. Dieser muss "halal" sein – also nicht in Handel mit Schweinefleisch, Alkohol, Tabak oder Glücksspiel involviert sein. Über sämtliche Finanzgeschäfte wacht in jeder Bank ein Scharia-Board aus Korangelehrten.
Miriam Bunjes ist freie Journalistin und lebt in Dortmund. Ihre Texte erscheinen bei verschiedenen Tageszeitungen und Internetportalen.