Vor der Afghanistan-Konferenz: Deutsche Position gewinnt Kontur
Selten hatte eine internationale Konferenz eine so hohe Bedeutung für die Innenpolitik der Bundesregierung. Seit Wochen kündigt die Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an, im Lichte der Ergebnisse der Afghanistan-Konferenz am 28. Januar in London die deutsche Strategie auf den Tisch zu legen. Nun zeichnet sich ab, welche deutschen Angebote Außenminister Guido Westerwelle (FDP) in London mit den Vertretern aus 60 Staaten besprechen könnte.
24.01.2010
Von Kristina Dunz

Die Konferenz gilt als Gradmesser für Erfolg oder Scheitern der vor acht Jahren begonnenen Mission der internationalen Gemeinschaft zum Wiederaufbau Afghanistans und der Bekämpfung der radikal- islamischen Taliban - und damit auch des Bundeswehreinsatzes.

Entwicklungshilfe und Polizeiausbildung

Eines scheint festzustehen: die Verdoppelung der deutschen Entwicklungshilfe auf 250 Millionen Euro. Aber auch mit der Erhöhung bleibt die Hilfe weit unter den Militärausgaben, die in diesem Jahr in etwa das Dreifache erreichen dürften. Ferner will die Regierung die Zahl der Polizeiausbilder erhöhen. Die Ausbildung der afghanischen Polizei gehört für viele Beteiligte zu den frustrierendsten Erfahrungen.

Deutschland hatte einst die Verantwortung dafür. Dann übernahm die Europäische Union mit ihrer Polizeimission EUPOL, aber die Ergebnisse sind weiterhin dürftig. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) sagte dem "Focus" zu EUPOL: "Da sitzen viele, die zu wenig bewirken, und das ist nicht vernünftig." Insgesamt - für EUPOL sowie eigene Polizeihilfe - will Deutschland künftig rund 260 eigene Polizisten einsetzen. 2009 waren es gerade einmal 90. Die Bundeswehr, die derzeit mit rund 4.300 Soldaten in Afghanistan ist, hatte der Polizei allein mit 45 Feldjägern Amtshilfe geleistet.

Zahl der deutschen Soldaten

Am brisantesten ist aber die Zahl der deutschen Soldaten. Der Unmut hierzulande ist von Jahr zu Jahr gewachsen. Statt der Befriedung Afghanistans gab es zunehmend Anschläge auf die Bundeswehr mit Toten und Verletzten. Die größte Debatte über den Einsatz begann im vorigen September, als auf deutschen Befehl ein Luftangriff geflogen wurde, bei dem kein deutscher Soldat starb, aber bis zu 142 Afghanen getötet oder verletzt wurden, darunter viele Zivilisten.

Vor London muss die Bundesregierung nicht mehr entscheiden, ob die Bundesregierung die eigene Truppe aufstocken will - auch wenn Westerwelle und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) mit Äußerungen Interpretationsspielraum gegeben haben. So hatte Westerwelle gesagt, er werde nicht zu einer "Truppenstellerkonferenz" nach London fahren. Das Verteidigungsministerium bestritt noch am Freitag, dass Guttenberg eine Aufstockung um 1.500 Soldaten - einschließlich einer Reserve von 500 Mann und mehreren hundert Soldaten für AWACS- Aufklärungsflüge - vorschlagen wolle. Diese Angaben entbehrten "jeglicher Grundlage", hieß es.

Andererseits stocken die USA ihre Truppen nicht zuletzt massiv auf, um schon im nächsten Jahr mit dem Abzug der ersten Soldaten beginnen zu können. Rückzug - das wäre auch in Deutschland ein immer drängenderer Wunsch.

"Ich habe nie gesagt, dass wir keine zusätzlichen Soldaten schicken"

Somit stellt sich vor London immer wieder die Frage: Wie viele Soldaten wird Deutschland zusätzlich schicken? Jedenfalls kündigte Guttenberg selbst in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Montag) an, vor der Konferenz "eine konkrete Zahl für eine mögliche Aufstockung des deutschen Truppenanteils" vorzustellen. Und Westerwelle erklärte nun am Sonntagabend in der ARD: "Ich habe nie gesagt, dass es keinerlei Truppenaufstockung geben darf."

Merkel möchte die SPD dabei im Boot haben. Die Sozialdemokraten, die zu ihrer Regierungszeit dem Einsatz immer zugestimmt haben, geben sich nun kritisch. Sie wollen von der neuen Regierung ein konkretes Abzugsdatum hören und lehnen weitere "Kampftruppen" ab. Hier könnte sich der Kompromiss abzeichnen. Denn das muss nicht heißen, dass die SPD gegen weitere Truppen stimmt. Offenbar geht es ihr darum, dass die Bundeswehr nicht weitere "Kämpfer" schickt.

Der Stand in Sachen Truppenaufstockung am Montagmorgen ist: Nach unbestätigten Informationen der "Rheinischen Post" (Montag) sollen sich Merkel, Westerwelle und Guttenberg bereits auf eine Aufstockung um 500 auf dann maximal 5.000 Soldaten geeinigt haben. Allerdings wird es am Montagabend noch ein Treffen geben, wo Merkel, Westerwelle, Guttenberg, Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) das konkrete Angebot für die Konferenz in London vereinbaren wollen.

Westerwelle will Taliban-Aussteigern Geld bieten

Am Samstag sandte Merkel in ihrer wöchentlichen Video-Botschaft dieses Signal aus: Damit Afghanistan selbst für seine Sicherheit sorgen kann, müssten Armee und Polizei aufgebaut werden. "Dazu sind noch erhebliche Ausbildungsanstrengungen notwendig (...) Deshalb werden wir unsere militärischen Aufgaben vor allen Dingen auch auf die Ausbildung der Sicherheitskräfte konzentrieren." Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur dpa will Guttenberg von den maximal 1.500 zusätzlichen Soldaten rund 600 für die Ausbildung anbieten.

Schließlich kündigte Westerwelle in der "Bild am Sonntag" noch einen, nach seinen eigenen Worten, "völlig neuen Ansatz zur Wiedereingliederung von Aufständischen in die Gesellschaft" an: ein Aussteiger-Programm. "Es gibt viele Mitläufer der Taliban-Terroristen, die nicht aus fanatischer Überzeugung, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen auf einen falschen Weg geraten sind", sagte der Vize-Kanzler. "Wir wollen diesen Menschen eine wirtschaftliche und soziale Perspektive für sich und ihre Familien bieten. Dafür werden wir auch zusätzliches Geld in die Hand nehmen."

Hinweis: Am Sonntagabend um 22.30 Uhr wiederholt Phoenix die aktuelle Tacheles-Sendung zum deutschen Einsatz in Afghanistan. Außerdem gibt es Ausschnitte und eine schriftliche Fassung der Debatte online.

dpa