Meine Woche vom 17. bis 22. Januar
Sonntag
Änderung des Betriebsablaufs. So lange die Bahn mit ihren Kälte-, Werkstatt- und allgemeinen Daseinskrisen zu kämpfen hat, sollte man die Pendelei aufs Nötigste begrenzen. Also habe ich beschlossen, diese Woche mal fünf Tage am Stück in Frankfurt zu bleiben. Hurra, das sind vier Stunden weniger Fahrzeit, vier Stunden mehr Lebenszeit am Tag, was ich da alles machen werde. Sport. Noch mehr Sport! Arbeiten. Noch mehr Arbeiten! Endlich werde ich mein Pendlerzimmer in Frankfurt nutzen. Da war ich zuletzt vor zwei Wochen, und jetzt frag ich mich: Liegt da die blaue Anzughose oder die schwarze? Die braunen flachen Stiefel und ausreichend Unterhosen? Und hoffentlich ist die Bude geheizt, brrr.
Montag
Überraschung. Es lag leider gar kein Jackett in Frankfurt, dafür drei Hosen in unterschiedlichen schwarz-Nuancen. Und keine einzige Unterhose, aber sehr viele BHs. Pendler-Schicksal. Ich wette, davon lebt der Frankfurter Einzelhandel: dass Wochenendpendler vor lauter Freude, dass sie am Wochenende ihren Schatz sehen, nicht mal von Freitagabend auf Sonntagmittag die Farbe ihrer Kleider memorieren können. Dafür ist es warm in der Bude, das ist ja schon mal was. Ach, ist das schön, abends nicht zum Bahnhof hetzen, sondern zwei Stationen mit der U-Bahn fahren und das wars.
Dienstag
Na toll. Ich will eine Reportage weiter schreiben, die ich am Sonntag auf meinem immobilen iMac in Köln begonnen habe und dann halbfertig auf den USB-Stick geschoben habe. Aber der USB-Stick, zauberhafte Entwicklung, enthält so schöne Dateien wie "Ferienlanzarote" und "Oskargeburtstag". Bloß nicht meine halbfertige Reportage. Ob ich doch heute abend nach Köln fahre, die Datei vom Computer holen? Das wäre ungefähr die dümmste Datenautobahn der Welt. Ob ich meine alte Nachbarin, die in Köln den Briefkasten leert, dazu bringe, die Datei von meinem Kölner Computer loszuschicken? Aber ich fürchte, die hat noch Telefon mit Wählscheibe. Alles Mist mit den zwei Wohnsitzen. Ich schließe mich bei chrismon zwei Stunden ein, schalte das Handy ab und schreibe die gesamte Reportage neu. Von wegen mehr arbeiten als sonst.
Mittwoch
Doch nicht so schlecht mit dem zweiten Wohnsitz. Ich beschließe, wenigstens ein bisschen heimisch zu werden in Frankfurt und trete einem Sportverein bei, der über 200 Kurse in der Woche anbietet. Also ideal für flexible Menschen wie mich. Der Verein heißt "Turngemeinde Bornheim" , und die Turnhalle sieht wirklich aus wie das Matthäus-Gemeindehaus aus meiner Kindheit: viel Holz, viel Stahl und eine kleine Bühne, auf der eine junge Frau mit Headset ihre modernen Prayers brüllt: "Single! Run! Stretch!" Wie nett die hier sind. Als ich neulich in Köln bei meiner – echten – Kirchengemeinde angerufen habe, um meinen Sohn beim Konfi anzumelden, bellte mich erstmal ein unwilliger Pfarrvikar an "Ott? Haben wir hier nicht. Ist ihr Sohn überhaupt getauft?" Und hier, bei der Turngemeine Bornheim, sagt die junge Türkin am Empfang: "Ott? Was für ein schöner Name. Heißt auf türkisch Baum." Übrigens, mein Sohn ist natürlich getauft. Auf den Namen Ott, also Baum. Und natürlich evangelisch.
Donnerstag
Man kann sich dran gewöhnen, an das immobile Leben. Bin schon wieder bei meiner Turngemeinde. Und – man glaubt es nicht: in der Umkleide sagt eine Frau zu mir: "Heute ist es nicht so voll wie gestern." Yippie, die hat mich erkannt! Das passiert mir bei der Bahn fast nie. Ein einziges Mal in fünf Jahren Pendelei hat ein Schaffner gesagt: "Sie waren doch gestern schon in diesem Zug." Den hätte ich fast geheiratet vor Freude. Man mag es doch, wenn man erkannt wird. Übrigens, Ott heißt Baum, wussten Sie das schon?
Freitag
Heute würde ich ja gern mal wieder nach Köln fahren, aber heute hat die Bahn ein besonderes Zuckerl für mich: Die Bahnstrecke nach Köln ist gesperrt. Ich warte, bis mein Lebensgefährte mit dem Auto kommt, der hat dafür im Autoradio Neues von der Bahn gehört: ein heute erschienenes "Schwarzbuch Bahn" deckt auf, dass ICE-Fahrer übermüdet sind und in Thermosflaschen pinkeln müssen. Na, da fahr ich doch lieber Auto heute. Hilfe, welche Hosen habe ich doch gleich in Frankfurt gelassen? Ich wette, ich habe es bis Montag wieder vergessen. Schönes Wochenende!
Über die Autorin:
Ursula Ott, 45, ist stellvertretende Chefredakteurin von chrismon, Chefredakteurin von evangelisch.de, Mutter von zwei Kindern und pendelt täglich zwischen Köln und Frankfurt. www.ursulaott.de
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