TV-Tipp: "Tatort: Hilflos" (ARD)
Bei den Ermittllungen um den Mord an einem Schüler geht es um ein subtiles Delikt vor dem Delikt: Mobbing. Die Saarbrücker Kommissare stoßen auf beharrliches Schweigen.
22.01.2010
Von Tilmann P. Gangloff

"Tatort: Hilflos", Sonntag, 24. Januar, 20.15 Uhr im Ersten

Im Grunde klingt der Begriff „Mobbing“ viel zu harmlos, zumal er ein weites Feld abdeckt; die entsprechenden Vorfälle reichen von der Hänselei in der Schule bis hin zu konsequenten Demütigungen, die zu schweren psychischen Problemen führen können. Welche Ausmaße das annehmen kann, beschreiben Stefan Schaller und Sabine Radebold in ihrem Krimi "Hilflos".

Geschickt führt ihr Drehbuch zunächst allerdings auf eine ganz andere Fährte: In einem stillgelegten Saarbrücker Parkhaus wird die Leiche eines Schülers gefunden. David ist vor seinem Tod grausam verprügelt worden und dann nach einem Sturz an Genickbruch gestorben. Sein bester Freund ist den Kommissaren Kappl und Deininger (Maximilian Brückner, Gregor Weber) allerdings ein Rätsel: Tobias (Sergej Moya) kriegt kaum den Mund auf. Indizien belegen, dass er zumindest am Tatort war. Die Schulklasse wiederum reagiert fast teilnahmslos auf die Todesnachricht.

Nach und nach finden die Ermittler heraus, dass David und Tobias Außenseiter waren. Gerade Tobias ist schon seit Jahren das Opfer von immer wieder neuen Demütigungen, bei denen zuletzt nicht nur Fäkalien, sondern auch Sexualität eine Rolle spielten. Seltsam bloß, dass Tobias ausgerechnet mit Jonathan (Florian Bartholomäi), seinem bis dahin schlimmsten Feind, plötzlich befreundet zu sein scheint. Ein Videofilm, den Tobias vom Laptop seines Freundes gelöscht hat, zeigt ihn, wie er Jonathan zusammenschlägt. Alle diese Ergebnisse aber bringen die angesichts des beharrlich schweigenden Jungen in der Tat hilflos wirkenden Beamten nicht einen Schritt weiter.

Der schon seit vielen Jahren in Deutschland lebende Finne Hannu Salonen inszeniert den Film mit äußerster Zurückhaltung. Die beobachtende Führung der Kamera (Andreas Doub), der stets um Realismus bemühte Stil und der weitgehende Verzicht auf Musik lässt die Geschichte fast wie eine dokumentierte Fallstudie wirken. Einzig die Vernehmungssituationen gehorchen üblichen Krimikonventionen. Kappl und Deininger versuchen, Tobias mit Hilfe der klassischen Konstellation „Guter Bulle, böse Bulle“ aus der Reserve zu locken: Kappl schreit den jungen Mann an und wird dabei auch verletztend, Deininger gibt sich verständnisvoll.

Die Mobbing-Momente aber bleiben konsequent ausgespart. Die traumatisierenden Erlebnisse von Tobias werden ausschließlich erzählt; zu sehen sind sie nie. Auf diese Weise vermeidet Salonen nicht nur voyeuristische Momente; der junge Mann, von Moya fast apathisch verkörpert, lässt bis zum tragischen Schluss keine Blicke in sein Inneres zu. Ein ungewöhnlicher und bedrückender, aber dank seiner subtilen Spannung reizvoller "Tatort".


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und die "Frankfurter Rundschau" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).