Vor 75 Jahren, am 22. Januar 1935, wurde Men geboren. 1990 fiel er einem niemals aufgeklärten Mordanschlag zum Opfer.
Sich selbst bezeichnete er bescheiden als "einfachen Dorfpriester". Dabei hatte sich Aleksandr Mens Dorfgemeinde nördlich von Moskau im Laufe der Jahre zu einem Anlaufpunkt für Moskauer Intellektuelle entwickelt. Men hatte sich nie damit zufrieden geben können, an Sonntagen in leeren Kirchen die Liturgie zu feiern. Er wollte aktiv neue Menschen für den christlichen Glauben begeistern, gründete Bibelgruppen und Hauskreise, taufte unzählige junge Menschen. In dem kommunistischen Land war ein solches Engagement mit erheblichem persönlichem Risiko verbunden. Religiöser Unterricht für Kinder galt gar als offizieller Straftatbestand.
Seine Werke zur Religionsgeschichte werden boykottiert
Aleksandr Men fühlte sich fest mit der orthodoxen Kirche verbunden, war aber auch der Ökumene gegenüber aufgeschlossen. Zu behaupten, dass Millionen von Katholiken und Protestanten "sich irren und nur wir allein die wahre Kirche sind, wäre ein unsinniger, durch nichts gerechtfertigter Stolz", schrieb er.
Auch aufgrund solcher Äußerungen tut sich die russische Kirchenhierarchie heute schwer mit ihrem einst so populären Prediger. Zwar haben Vertreter des Moskauer Patriarchats wiederholt den Beitrag gewürdigt, den Men leistete, um die mehrheitlich atheistischen Russen wieder für das Christentum zu interessieren. Doch seine Werke zur Religionsgeschichte werden von den meisten kirchlichen Buchhandlungen Russlands boykottiert. Der später des Amtes enthobene ultra-fundamentalistische Bischof Nikon von Jekaterinburg im Ural ließ Mens Bücher im Jahr 1998 sogar aus der Bibliothek des Priesterseminars entfernen und verbrennen.
Kritiker werfen Men bis heute vor, er habe sich bei seinen öffentlichen Vorträgen nicht entschieden genug von esoterischen Moden abgegrenzt und in seinen Büchern "pro-katholische" Ansichten vertreten. "Ein Missionar, der zu den Heiden geht, kann dort auch verloren gehen", urteilte der Publizist Andrej Kurajew, einflussreicher Wortführer der konservativen Orthodoxie.
Innerkirchlichen Nationalisten und Antisemiten diente auch Mens Herkunft stets als Grund für Anfeindungen. Vor seinem Tod war er bedroht und zur Emigration aufgefordert worden.
Staatlicher Würgegriff um die orthodoxe Kirche
Aleksandr Iwanowitsch Men wurde 1935 in eine jüdischen Familie in Moskau hineingeboren. Seine Mutter konvertierte nach Alexanders Geburt zum Christentum und ließ auch ihren kleinen Sohn von einem orthodoxen Untergrundpriester taufen. Öffentliche Bekenntnisse zum Christentum konnten während Stalins Terrorherrschaft lebensgefährlich sein.
Als Jugendlicher wollte Men zunächst Biologe werden, flog jedoch wegen seines Glaubens von der Hochschule und wurde Priester. Bereits in den 60er Jahren hatte er damit begonnen, in seinen Landgemeinden Bibelgruppen zu gründen.
Der Geheimdienst KGB unterwanderte Mens Gemeinden mit Spitzeln, lud den Priester immer wieder zu Verhören. Seine wichtigsten Bücher, etwa das auch auf Deutsch erschienene Werk "Der Menschensohn" ließ er aus Angst vor Repressionen unter Pseudonym in Brüssel drucken. Noch 1986, der Reformer Michail Gorbatschow war bereits ein Jahr lang an der Macht, warf die Gewerkschaftszeitung "Trud" Men und seinen Weggefährten vor, sie seien Agenten des US-Geheimdienstes CIA. Als der staatliche Würgegriff um die orthodoxe Kirche endlich abnahm, hatte Men nur noch zwei Jahre zu leben.
Spekulationen über Täter und Hintermänner
Am 9. September 1990 machte er sich auf den Weg zum Gottesdienst, als ihm zwischen seinem Haus und der nahe gelegenen Bahnstation zwei Unbekannte auflauerten. Einer der Täter schlug ihn von hinten mit einer Axt nieder. Men war nicht sofort tot. Blutüberströmt konnte sich der Priester noch bis zu seiner Gartenpforte zurückschleppen, wo er zusammenbrach.
Jahrelang fahndete die Polizei nach Mens Mördern, mehrere Verdächtige wurden festgenommen, einer von ihnen gar vor Gericht gestellt, aber aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Auch 20 Jahre nach dem Mord gibt es nur Spekulationen über Täter und Hintermänner: Teile des sowjetischen Geheimdienstes KGB könnten ebenso ein Interesse am Tod des populären Missionars gehabt haben wie ultra-nationalistische und antisemitische Gruppierungen innerhalb wie außerhalb der Kirche. Am Ort der Tat erinnert heute eine orthodoxe Kappelle an Aleksandr Men.