Amerikaner gesteht: "Zumindest mein Blog vermisst Bush"
Scot W. Stevenson ist Amerikaner und lebt in Deutschland. Was bedeutete für ihn die Wahl Obamas zum Präsidenten? Fasziniert hat ihn nicht nur, dass die USA es geschafft haben, einen Schwarzen zum Präsidenten zu wählen, sondern vor allem, dass sich der Bürgerwille durchsetzen konnte. Aus der Sicht seines Blogs betrachtet, war Stevenson Obamas Vorgänger Bush allerdings lieber.

evangelisch.de: Wie lange leben Sie schon in Deutschland, und was hat Sie hierher gebracht?

Scot W. Stevenson: Seit 1974, da war ich sechs. Mein Vater, ein Sprachwissenschaftler, hatte eine Stelle bei einer deutschen Uni angenommen.

evangelisch.de: Was muss man noch über Sie wissen?

Scot W. Stevenson: Ich habe nach dem Abi Medizin studiert, mich aber dann in das Schreiben verliebt (genauer gesagt ist das Schreiben eine fürchterliche Sucht, vor der man alle Leute warnen sollte). Nach meinem Abschluss habe ich dann an der Uni Mainz einen Aufbaustudium für Journalismus besucht und arbeite seitdem für eine Nachrichtenagentur, konsequenterweise in der Auslandsredaktion.

Seit Mai 2006 schreibe ich ein Blog namens "USA erklärt", das versucht, in halbwegs unterhaltsamer Form gängige Missverständnisse über Amerika und die Amerikaner aus dem Weg zu räumen. Zumindest für mich ist das ein großer Spaß.

evangelisch.de: Was war ihr erster Eindruck von Deutschland, und hat sich der über die Jahre bestätigt oder nicht?

Scot W. Stevenson: Ich bin vom Bundestaat New Mexico im Oktober nach Essen gekommen, aus der Sonne in den nasskalten Regen. Mein erster Eindruck als Kind war: Warum ist der Himmel grau? Im Moment bestätigt sich das wieder, aber die Sommer in Brandenburg sind nicht zu verachten.

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evangelisch.de: George W. Bush gehört in Deutschland nicht zu den beliebteren Präsidenten. Haben Sie das gemerkt im Umgang mit Deutschen - Freunden, Gästen etc.?

Scot W. Stevenson: Ja, aber auf beiden Seiten des Atlantiks, also auch mit Amerikanern. Bush hat weltweit die Menschen polarisiert und tut es immer noch. Persönlich habe ich nie darunter gelitten - Präsidenten kommen und gehen, Freunde bleiben. Für das Blog ergaben sich allerdings wunderbare Gelegenheiten, Dinge zu erklären. Zumindest mein Blog vermisst Bush.

evangelisch.de: Gab es dabei eine generelle Abneigung gegen die USA als ganzes, oder richtete sich das eher gegen die Politik und ihre Entscheidungen?

Scot W. Stevenson: Es gibt weltweit einen harten Kern von Leuten, die alles an den USA hassen, schon aus Prinzip, schon vor Bush und auch jetzt, in Deutschland wie in anderen Staaten. Es gibt übrigens auch Amerikaner, die einen "self-hate" an den Tag legen, für die also die USA immer schuld sind. Die Lautstärke aus dieser Ecke nahm unter Bush deutlich zu. Wenn man diese Fanatiker abzieht, war es meiner Erfahrung nach eher gegen die Politik der Regierung gerichtet.

Schwierig wurde es, wo die Strukturen nicht verstanden wurden. Zum Beispiel wird Bush in Deutschland häufig für die Ablehnung des Kyoto-Klimaprotokolls verantwortlich gemacht. Das ist schlicht falsch: Bush war zwar dagegen, aber schon vor seiner Amtzeit hatte der Senat erklärt - einstimmig, übrigens - dass der Vertrag so keine Chance haben werde, insbesondere weil China einen Freibrief bekam. Die strenge Gewaltenteilung in den USA zwischen Präsident und Kongress macht immer wieder Probleme, weil es sie in dieser Form in Deutschland nicht gibt.

evangelisch.de: Wie haben Sie die Obama-Inauguration vor einem Jahr verbracht? War das etwas Besonderes oder eher doch nicht?

Scot W. Stevenson: Ich habe sie mit meiner Frau und meinen Kindern vor dem Fernseher verbracht. Der erste schwarze Präsident, das war natürlich ein historisches Ereignis, egal ob man ihn als Politiker mag oder nicht. Der Nachwuchs hat sich fürchterlich gelangweilt, aber ich hoffe, dass er sich später irgendwie daran erinnern wird.

evangelisch.de: Was bedeutete die Wahl von Barack Obama für Sie als Amerikaner?

Scot W. Stevenson: Für viele Amerikaner hat es das Vertrauen in das System gestärkt oder, im Extremfall, wiederhergestellt. Man muss sich klar machen, dass Obama sich nicht nur gegen die Republikaner durchgesetzt hat, sondern - wie Kommentatoren spitz bemerkt haben - auch gegen die Demokraten: Das Establishment der Partei hatte sich eigentlich auf Hillary Clinton verständigt. Aber die Wähler wollten Obama, und tatsächlich haben sie mit Hilfe der Ur- und Vorwahlen ihn erst zum Kandidaten gemacht und dann zum Präsidenten. Dass die Verfassung nach mehr als 200 Jahren immer noch dafür sorgt, dass der Bürgerwille sich gegen die Vorlieben der Parteibonzen durchsetzen kann, hat viele Amerikaner glücklich gemacht.

Gut, Clinton vielleicht nicht...

Ich kenne auch viele meiner Landsleute, die gesagt haben: Nie und nimmer werden die USA einen Schwarzen zum Präsidenten wählen, das Land ist nicht so weit, egal, was alle den Meinungsforschern erzählen. Dass Obama nicht nur gewonnen hat, sondern sogar deutlich, hat Konsequenzen für das Selbstbild der Amerikaner wie auch für das Bild der USA im Ausland, die meiner Meinung nach noch nicht völlig verstanden werden. Die Tränen in den Augen der Bürgerrechtler nach seinem Wahlsieg sagten mehr als alle Kommentare der Journalisten.

evangelisch.de: Wie hat sich das Verhalten von Deutschen gegenüber Ihnen verändert, und wie hat sich das USA-Bild der Deutschen gewandelt?

Scot W. Stevenson: Abgesehen von den ganzen Witzen, ob ich bitteschön auch "den Richtigen" gewählt habe, hat sich mir gegenüber eigentlich nichts geändert. Wie gesagt, Präsidenten kommen und gehen.

Das Bild von den USA ist nach meinem Gefühl allein durch die Berichterstattung über den Wahlkampf deutlich differenzierter geworden. Die deutschen Medien haben so ausführlich jeden Schritt begleitet, dass das politische System der USA seitdem viel besser verstanden wird. Das merke ich auch an den Zuschriften zu meinem Blog. Besonders wichtig finde ich, dass auch viel von dem "warum" vermittelt wurde - warum gibt es in den USA überhaupt Ur- und Vorwahlen, um ein Beispiel zu nennen. Als Volksbildungsprojekt war die Wahl ein voller Erfolg.

Es gibt auch ein besseres Gefühl für die dramatische Zunahme der gesellschaftlichen Vielfalt in den vergangenen Jahrzehnten. Vor der Wahl hat man noch oft das Bild vorgefunden, dass die USA aus 90 Prozent Weißen und zehn Prozent Schwarzen besteht, also wie in den 60ern. Dass die Hispanics heute die größte Minderheit sind und die Zahl der "nicht-hispanischen Weißen" inzwischen unter 70 Prozent gerutscht ist, wird jetzt sehr viel besser verstanden. Es ist eine Sache, das im Fernsehen zu sehen, und eine andere, wenn es um knallharte Diskussionen über Zielgruppen bei der Wahl des mächtigsten Mannes der Erde geht.

evangelisch.de: Glauben Sie, dass Obama nach einem Jahr mehr gebracht hat als nur seinen Wahlkampfslogan "Hoffnung"? Gab es tatsächlich den angekündogten "Change we can believe in", ihrer Meinung nach?

Scot W. Stevenson: Umfragen zeigen eine massive Enttäuschung in der US-Bevölkerung. Allerdings ist das eigentlich immer so, in jeder Demokratie: Im Wahlkampf gibt es schöne Worte und leuchtende Versprechungen, und dann kommt der politische Alltag. Aus der Rhetorik wird wieder die Kunst des Machbaren. Die entscheidende Bilanz wird der amerikanische Wähler nach vier Jahren ziehen.