Die Welternährungsorganisation will fünf "humanitäre Korridore" einrichten, um auf dem Luft-, Land- und Seeweg Nahrungsmittel nach Haiti zu bringen. Binnen einer Woche sollen die Lebensmittel eine Million Menschen erreichen. Allein Mexiko will 750 Tonnen Hilfsgüter auf dem Seeweg nach Haiti bringen. Ein Engpass bei der Versorgung bleibt der Flughafen von Port-au-Prince, wo nicht alle Hilfsflüge landen können.
Nach Angaben des haitianischen Ministerpräsidenten Jean-Max Bellerive wurden bis Dienstag mindestens 72.000 Tote geborgen. Diese Zahl berücksichtige nicht die von ihren Angehörigen bestatteten Opfer oder die von den UN-Friedenstruppen aufgesammelten Leichen, berichtet der US-Fernsehsender CNN. In Port-au-Prince allein könnten bis zu 150.000 Menschen ums Leben gekommen sein, hieß es bei CNN.
Deutschen und mexikanischen Rettungskräften gelang es am Dienstag, eine Frau lebend aus den Trümmern der zerstörten Kathedrale von Port-au-Prince zu ziehen. Das bestätigte das Mitglied der mexikanischen Rettungstruppe, Rodolfo Nuñez, der Deutschen Presse-Agentur dpa. Die Frau ist etwa 60 bis 70 Jahre alt. Unter den Trümmern seien noch mehr Überlebende. Die Rettungskräfte hätten sogar mit ihnen sprechen können. Unklar ist, wie die Menschen eine Woche lang überleben konnten.
UN gedenkt eigener Opfer
Genau eine Woche nach dem verheerenden Erdbeben in Haiti hat die Belegschaft der Vereinten Nationen in New York ihrer toten und noch vermissten Kollegen gedacht. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon verbeugte sich bei einer ergreifenden Trauerfeier symbolisch vor den Opfern und Vermissten. Der UN-Chor sang eine Hymne, und um 16.53 Uhr Ortszeit (22.53 Uhr MEZ) wurde eine Gedenkminute eingelegt. Zu diesem Zeitpunkt war Haiti, das ärmste Land der westlichen Hemisphäre, am Dienstag vergangener Woche von einem Erdbeben der Stärke 7,0 erschüttert worden.
Die Weltorganisation fürchtet, durch die Naturkatastrophe in dem Karibikstaat mehr Mitarbeiter verloren zu haben als je zuvor in ihrer Geschichte. Zu den Opfern gehören der Leiter der UN-Mission in Haiti (MINUSTAH), Hédi Annabi, und seine zwei engsten Mitarbeiter. Bisher wurden etwa 50 Angehörige der Vereinten Nationen tot aus den Trümmern geborgen. Weitere 500 werden noch vermisst.
Das Hauptquartier der UN-Mission war im Christopher Hotel von Port-au-Prince untergebracht, das unter den Erdstößen vor einer Woche wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen war.
Furchtbare Zustände im verwüsteten Port-au-Prince
In der verwüsteten Hauptstadt Port-au-Prince und Umgebung herrschten am Dienstag weiter furchtbare Zustände. Viele Menschen haben seit Tagen weder Nahrung noch Trinkwasser. Teils schwer verletzte warten noch immer auf erste medizinische Hilfe.
Am Dienstag wurde die Situation der Zehntausenden Obdachlosen auf den Straßen von Port-au-Prince durch Regen zusätzlich erschwert. Die befahrbaren Straßen in der Hauptstadt waren oft hoffnungslos verstopft mit Fahrzeugen und Flüchtlingen, die eine der wenigen Transportmöglichkeiten ergattern konnten.
Bis Dienstag hatten 52 Rettungsteams mit 1.820 Helfern und 175 Hunden nach UN-Angaben insgesamt rund 90 Menschen lebend gerettet. Katastrophal nannten Helfer auch die Situation in der Umgebung von Haitis Hauptstadt. So sind in dem etwa 50.000 Einwohner zählenden Ort Léogâne, rund 30 Kilometer westlich von Port-au-Prince, rund 90 Prozent der Gebäude zerstört.
UN: Lage insgesamt stabil
Trotz vereinzelter Meldungen über Plünderungen und Schießereien beschrieb der amtierende Chef der UN-Mission in Haiti, Edmond Mulet, die Lage in einer Videokonferenz aus Port-au-Prince insgesamt als ruhig und nicht gewalttätig. "Die allgemeine Lage ist stabil, die Situation ist unter Kontrolle", sagte er. Natürlich gebe es in Port- au-Prince Vorfälle, es gebe Schießereien und Raub. "Aber das gab es vor dem Erdbeben auch." Im UN-Hauptquartier in New York sollte am Abend mit einer Schweigeminute der Opfer gedacht werden.
Mehr Spenden und Soforthilfen aus Deutschland
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte am Abend in der ZDF-Spendengala, die Bundesregierung werde sich auf "lange Frist für Haiti verantwortlich fühlen" und um den Wiederaufbau kümmern. "Wir müssen jetzt ja aufpassen, dass nicht eines Tages das Elend wieder aus den Schlagzeilen verschwindet und der Wiederaufbau in Haiti trotzdem noch nicht geschafft ist." Sie kündigte zudem eine Aufstockung der deutschen Soforthilfen für das UN-Welternährungsprogramm um 2,5 Millionen auf 10 Millionen Euro an.