Der Streit über das geplante Vertriebenenzentrum ist aus Sicht der evangelischen Kulturbeauftragten Petra Bahr dem Gedenken an das Trauma der Vertriebenen in hohem Maße schädlich. Wenn der Eindruck entstehe, der Bund der Vertriebenen (BdV) erkämpfe sich erneut ein "Erinnerungsmonopol", wachse bei vielen Menschen die Skepsis gegen das Ausstellungsprojekt "Flucht, Vertreibung, Versöhnung", sagte die Beauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) dem epd.
Versöhnung in den Mittelpunkt rücken
"Viele Vertriebene, auch unter denen, die noch Mitglieder im BdV sind, fühlen sich durch die harte, kompromisslose Position von Erika Steinbach nicht vertreten", sagte Bahr. Nötig sei eine Lösung, die nicht die Person Steinbach, sondern den Stiftungszweck der Versöhnung in den Mittelpunkt rücke. Dies werde aber durch die sture Haltung des Vertriebenenverbandes gerade verhindert.
Bei dem seit Monaten anhaltenden Streit geht es um einen Sitz für Vertriebenen-Präsidentin Erika Steinbach im Stiftungsrat der Gedenkstätte. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) lehnt die Berufung Steinbachs in das Stiftungsgremium ab, weil es Kritik aus Polen an ihr gibt. Die CDU-Abgeordnete Steinbach hatte Anfang Januar ihren Verzicht angeboten, falls die Vertriebenenorganisation mehr Einfluss im Stiftungsrat erhält. Bisher stehen dem Bund der Vertriebenen drei Sitze zu, je ein Sitz entfällt auf die beiden großen Kirchen und den Zentralrat der Juden.
"Der schwer erträgliche Kern der christlichen Versöhnungsbotschaft"
Versöhnung lebe von einem Vorschuss an Großzügigkeit, sagte die EKD-Kulturbeauftragte. Ungerechtigkeit der anderen Seite schrecke die nicht, die wirklich Versöhnung wollen. "Das ist der manchmal schwer erträgliche Kern der christlichen Versöhnungsbotschaft", ergänzte die Theologin.
Um rasche Handlungsfähigkeit für die Vertriebenen-Stiftung zu erreichen, empfiehlt Bahr der Vertriebenen-Präsidentin einen Verzicht auf ihren Sitz. Dies wäre eine "starke Geste", die ihr Respekt im In- und Ausland verschaffen würde, so die Kulturbeauftragte. Dieser Schritt käme auch dem Anliegen zugute, den Vertriebenen im kollektiven Gedächtnis von Deutschen und Europäern einen angemessenen Ort zu geben.
"Viele Vertriebene nicht in BdV engagiert"
Wie Vertreter der katholischen Kirche und des Zentralrates der Juden stellte die EKD-Kulturbeauftragte in Frage, dass der BdV für alle Vertriebenen sprechen könne: "Viele Vertriebene und ihre Nachkommen sind in diesem Verband und seinen Landsmannschaften gar nicht engagiert." Das Trauma der Vertreibung verdiene als gesamtgesellschaftliches Thema Aufmerksamkeit. Die Barbarei der Nationalsozialisten als Ursache von Flucht, Vertreibung und Zwangsdeportation dürfe nicht länger Ausflucht für den "öffentlichen Gedächtnisschwund" sein, skizzierte Bahr die Aufgabe der Vertriebenen-Stiftung. Die Theologin gehört für die evangelische Kirche dem Stiftungsrat an.