Margot Käßmann sieht sich nach ihren Afghanistan-Äußerungen heftiger Kritik ausgesetzt. Naivität, Populismus, Ahnungslosigkeit – das sind nur einige der Vorwürfe gegen die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die in ihrer Dresdner Neujahrspredigt den Bundeswehreinsatz am Hindukusch hinterfragt und dabei mehr "Fantasie für den Frieden" verlangt hatte. Grund genug für viele, wieder einmal fröhliche Kirchenschelte zu betreiben. Doch die Diskussion hat längst die Grenzen des guten Geschmacks überschritten – und die Zahl der Vorurteile und Missverständnisse ist kaum noch überschaubar.
Da hält man der hannoverschen Bischöfin zuallererst vor, Kirche habe sich nicht in politische Angelegenheiten einzumischen. Das ist frech und anmaßend, denn genau das verlangen Politiker in Sonntagsreden immer wieder: Die Christen sollten sich mehr in die gesellschaftliche Diskussion einbringen und zur Meinungsbildung beitragen. Wenn es um Kindererziehung oder Krankenhauskosten geht, darf die Kirche mitreden – aber nicht bei existenziellen Dingen wie Krieg und Frieden? Ganz Deutschland redet über den Militäreinsatz in Afghanistan, und ausgerechnet die Kirche soll ihren Mund halten?
"Nichts ist gut in Afghanistan"
Dabei machen sich einige Kritiker noch nicht einmal die Mühe, zwischen einer Predigt und einem politischen Statement zu unterscheiden. Käßmann verwendete den oft zitierten und bemängelten Satz "Nichts ist gut in Afghanistan" in einem bestimmten rhetorischen Zusammenhang – sie griff damit eine verbreitete "Alles wird gut"-Mentalität an. Nichts ist gut in Sachen Klima, in Sachen Kinderarmut, das sagte sie ebenfalls. Davon wird sich aber kein Umweltschützer oder "Tafel"-Aktivist angegriffen fühlen. Nur die Verteidiger des Afghanistan-Engagements wittern gleich Treulosigkeit gegen die deutschen Soldaten.
Die Worte seien ihr "um die Ohren gehauen worden", sagt Käßmann und beharrt zugleich auf dem, was sie in Dresden sagte: "Ich würde die Predigt genauso wieder halten." Zieht man andere Äußerungen der Bischöfin hinzu, lässt sich erkennen, dass sie zwar eine klare Abzugsperspektive für die Bundeswehr und den Vorrang ziviler Hilfe in Afghanistan verlangt, wie viele andere übrigens auch. Doch sie redet keineswegs einem radikalen Pazifismus das Wort, wie ihr immer wieder unterstellt wird: Die Entsendung der Truppen sei als "ultima ratio" notwendig gewesen, bekannte Käßmann am Dreikönigstag in Loccum.
Wie jeder ernstzunehmende Zeithistoriker
Aber nicht genug, inzwischen werden im beliebten Käßmann-Bashing sogar Interviewäußerungen der Bischöfin in der "Berliner Zeitung" hervorgekramt, in denen sie vermeintlich den militärischen Kampf gegen Hitler relativiert und gar eine "moralische Neubewertung" des Zweiten Weltkrieges vornimmt. Die EKD-Ratschefin hatte lediglich die Appeasementpolitik der Westmächte in den 1930er Jahren aufs Korn genommen und die Frage aufgeworfen, warum die Alliierten nicht die Gleise nach Auschwitz bombardierten. Das tut jeder ernstzunehmende Zeithistoriker auch.
Kritiker kanzeln diese grundlegenden friedensethischen Probleme hingegen als "Teestubeneinfalt" ab – und die ökumenischen Partner sind schnell dabei, vermeintliche Unterschiede zwischen Katholiken und Protestanten in der Haltung zu Afghanistan hervorzukehren. Aus der katholizistischen Ecke raunt es derweil schon von einer "fundamentalen Krise", in die Margot Käßmann die evangelische Kirche lenke – aus Transzendenz werde Politik, aus Theologie Gesellschaftskritik. Da sind sie wieder, die bösen Gutmenschen mit lila Schal, willkommen und trara. Hauptsache, das Feindbild stimmt.
Machos, Militärs und dumme Männer
Der Streit wird derweil immer mehr auch zur Genderfrage. Erst vor kurzem hat die russische Orthodoxie der EKD die Freundschaft gekündigt, weil an deren Spitze Frau Käßmann steht. Nach den Machos aus Moskau sind nun die Militärs an der Reihe, sich über die 51-Jährige zu mokieren – fehlen nur noch die Mullahs. Aber die stolpern demnächst bestimmt über einen vermeintlich islamkritischen Satz aus dem Munde der Bischöfin. Wie sagte doch neulich Gregor Gysi auf Käßmanns Bemerkung, ihr werde jetzt oft vorgeworfen, sie sei naiv und wisse nicht, was sie sage? "Es gibt deutlich dümmere Männer, denen das nie gesagt wird."
Bernd Buchner ist Redakteur bei evangelisch.de und für die Ressorts Religion und Umwelt verantwortlich.