Helfer fürchten ohne schnelle Hilfe Aufstände in Haiti
Verzweifelt warten die Menschen nach dem Erdbeben auf Haiti auf Hilfe - doch die kommt nicht so schnell voran. Helfer fürchten nun Aufstände und Ausschreitungen, sollte den Menschen nicht bald geholfen werden. Die USA haben Soldaten geschickt, die den Flughafen in Port-au-Prince kontrollieren. Außerdem ist ein Flugzeugträger vor der Küste eingetroffen.

Nach dem Jahrhundertbeben droht die Lage in Haiti angesichts ausbleibender Hilfe zu eskalieren. Eine internationale Hilfsorganisation musste nach eigenen Angaben die Verteilung von Hilfsgütern aus Sicherheitsgründen stoppen. Aufgebrachte Überlebende türmten in der Hauptstadt Port-au-Prince Leichen zu Barrikaden auf, schätzungsweise 50.000 Menschen kamen bei dem verheerenden Erdbeben ums Leben. US-Präsident Barack Obama telefonierte am Freitag eine halbe Stunde lang mit seinem haitianischen Amtskollegen René Préval über die kritische Lage.

Helfer befürchteten, dass Wut und Verzweiflung in Gewalt umschlagen könnten. Verzweifelte Menschen beklagten sich im Fernsehen bitterlich über die fehlende Hilfe. Die traf zwar auf dem überlasteten Flughafen der Hauptstadt ein, aber die Verteilung lief nur sehr langsam an. Reporter internationaler Fernsehsender berichteten, dass sogar in unmittelbarer Nähe des Flughafens Menschen ohne Essen, Trinkwasser und ärztliche Versorgung im Freien saßen.

Zweijähriges Mädchen gerettet

In all der Not gibt es aber auch Hoffnungszeichen: Britische Helfer retteten am Freitag ein zweijähriges Mädchen aus den Trümmern eines zusammengestürzten Kindergartens. Das kleine Kind war drei Tage lang verschüttet, bis es aus den Ruinen des völlig zerstörten Gebäudes in Port-au-Prince geborgen wurde. Die Retter gehörten zu einer Truppe mit 64 Helfern aus dem Königreich, die zum Einsatz in den Karibikstaat eingeflogen worden war. Unterdessen machte sich am Samstagmorgen ein Hilfsflug von London auf den Weg in die Karibik. An Bord befanden sich zehn Tonnen Hilfsgüter, bei einer Zwischenlandung in Dänemark sollen weitere 40 Tonnen Material von Unicef zugeladen werden.

Unterdessen trafen weitere US-Soldaten in Port-au-Prince ein, wo sie seit dem Vortag den Flughafen kontrollieren. Diese Truppen könnten im Notfall auch für die Aufrechterhaltung der Sicherheit zum Einsatz kommen. Am Freitag erreichte auch der riesige US-Flugzeugträger "Carl Vinson" Haiti. Das Kriegsschiff hat 5.700 Mann Besatzung, 19 Hubschrauber, eine Trinkwasseraufbereitungsanlage und tonnenweise Versorgungsgüter an Bord. Die USA wollten außerdem sechs weitere Schiffe auf den Weg schicken, darunter drei Amphibienboote mit Helikoptern sowie ein Lazarettschiff.

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Insbesondere Kinder sind nach Angaben von Unicef von Krankheiten wie Typhus und Cholera, Malaria und Dengue-Fieber bedroht. "Drei Tage und noch immer keine Hilfe. Ich verstehe einfach nicht, was da los ist", sagte ein aufgebrachter Mann im Fernsehen und blickte zum Himmel.

Nach UN-Angaben werden vor allem Ärzte und Krankenschwestern, aber auch Leichensäcke dringend benötigt. Um die Masse der Verletzten medizinisch versorgen zu können, wollen die Vereinten Nationen das nationale Fußballstadion des Landes in ein Lazarett umwandeln. Höchste Eile sei geboten: «Viele Überlebende haben schwerste Verletzungen, komplizierte Brüche und zerschmetterte Gliedmaßen», sagte UN-Nothilfekoordinator John Holmes.

Für viele Verschüttete dürfte jedoch inzwischen jede Hilfe zu spät kommen. Ein Mensch kann nur etwa drei Tage ohne Trinken überleben. In Haiti herrschen Tagestemperaturen um 30 Grad. Noch immer graben die Menschen mit bloßen Händen in den Trümmern nach Überlebenden. Bereits die dritte Nacht in Folge verbrachten die meisten Einwohner von Port- au-Prince im Freien - aus Angst vor Nachbeben oder weil ihre Häuser zerstört sind.

Allerdings gab es inmitten der Apokalypse auch einzelne Lichtblicke: Internationale Suchtrupps hätten 23 Menschen lebend aus den Trümmern des Hotels Montana geborgen, sagte der chilenische Entsandte Juan Gabriel Valdés. In dem Hotel hatten viele Ausländer gewohnt.

Wachsende Spannungen

Helfer befürchten wachsende Spannungen und Ausschreitungen, sollten Trinkwasser, Lebensmittel und Medikamente nicht unverzüglich die verzweifelten Überlebenden erreichen. Nach Berichten des US-Senders CNN wurden massenweise Tote von den Straßen gesammelt und mit Radladern in große Lastwagen gekippt.

Auch der Leiter der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen in Haiti, Stefano Zannini, sprach von dramatischen Szenen. Derzeit bestehe zwar noch keine akute Seuchengefahr. Den Verletzten müsse aber dringend geholfen werden. Sie suchten zu Tausenden medizinische Hilfe, sagte Zannini. Da es an Lebensmitteln mangele und auch Benzin für den Transport fehle, verschlimmere sich die Lage.

Der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes, Rudolf Seiters, sagte im ZDF, er gehe davon aus, dass die Schätzungen von 50.000 Toten sowie zahlreichen Verletzten zutreffend seien. Etwa drei Millionen der neun Millionen Einwohner Haitis sind nach Angaben des Roten Kreuzes in Not. Da auch die Regierung und die Behörden Haitis durch das Beben weitgehend arbeitsunfähig geworden sind, mussten die Helfer ihre Bemühungen selbst organisieren.

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Unterdessen wurde bekannt, dass das Beben auch im Süden des Karibikstaates schlimme Schäden angerichtet hat. Städte und Ortschaften dort seien schwer beschädigt, sagte der Repräsentant der Welthungerhilfe in Haiti, Michael Kühn.

Über das Schicksal der etwa 100 Deutschen in Haiti war ebenfalls nur wenig bekannt. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin sagte, eine Gruppe von sechs Deutschen sei zurück nach Deutschland geflogen. Andere seien in die benachbarte Dominikanische Republik ausgereist. Auch drei 16, 22 und 27 Jahre alte Flensburger, die bei einem kirchlichen Austauschprojekt am Aufbau eines Waisenhauses beteiligt waren, blieben unverletzt. Am Samstag hieß es aus dem Außenministerium, es gebe keine verlässlichen Zahlen, wie viele Deutsche mittlerweile ausgeflogen seien. In Paris waren am Freitag etwa 150 Überlebende eingetroffen, darunter neben Franzosen auch Deutsche, Italiener und weitere Ausländer.

Weltweit große Hilfsbereitschaft

Die gigantische Welle der Hilfsbereitschaft hielt weiter an. Die Vereinten Nationen sagten 550 Millionen Dollar (etwa 380 Millionen Euro) Soforthilfe für die Erdbebenopfer zu. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon will zudem "sehr bald" nach Haiti reisen. Einen konkreten Termin nannte er nicht. Allein Weltbank, Internationaler Währungsfonds und die USA sagten jeweils 100 Millionen (rund 69 Millionen Euro) zu. Schauspieler und Prominente riefen zu Spenden auf oder starteten Aktionen.

Die USA, Frankreich und andere Staaten wollen so schnell wie möglich eine internationale Wiederaufbau-Konferenz für Haiti organisieren. Wie der französische Präsidentenpalast mitteilte, einigten sich Staatschef Nicolas Sarkozy und Obama auf eine entsprechende Initiative. Als möglicher Termin wurde der März genannt. Die zuständigen EU-Minister treffen sich bereits an diesem Montag zu einer Sondersitzung in Brüssel.

dpa