Störungen im Betriebsablauf (Folge 14)
Es ist ja jetzt schon ein paar Tage länger Winter in Deutschland. Und man könnte meinen, dass sich alle darauf eingestellt haben. Nur die Bahn nicht, wie unsere Kolumnistin Ursula Ott mehrmals leidvoll erfahren musste.
15.01.2010
Von Ursula Ott

Meine Woche vom 10. bis 15. Januar

Sonntag

Bei uns steht noch immer der Weihnachtsbaum im Wohnzimmer, wir sind ja nicht bei Ikea. Sondern in einem ordentlichen evangelischen Haushalt, und da darf man den Baum bis Lichtmess stehen lassen. Und um den Kitsch - wir lieben den Kitsch! – perfekt zu machen, kreist eine Lehmann-Eisenbahn um den Baum, mit orange gekleideten Preisser-Figuren am Bahngleis, kleine Arbeiter, die Kohle schaufeln oder Weichen verstellen. Wenn das Leben richtig chaotisch ist, kann das wahnsinnig beruhigend sein. Man dreht einen Schalter am fetten roten Trafo, und der Zug rollt. Wenn es doch immer so einfach wäre.

Montag

Hoppla, was ist das denn. Der erste Zug morgens – "fällt leider aus". Der zweite Zug – "muss leider wegen einer Signalstörung ohne die Wagen 31 bis 38 verkehren". Und dann bleibt er ganz stehen, mit 2,5 Mal so vielen Menschen wie geplant, in Montabaur. Und da stehen doch tatsächlich solche orangenen Männer und halten eine Art vergrößertes Feuerzeug an die Weichen. Mensch, und ich dachte, meine Lehmann-Modellbahn sei voll retro. Die machen das in echt, das High-Tech-Unternehmen Bahn. Die tauen von Hand ihre Weichen auf! Toll. Finden übrigens die Schaffner mit ihren roten Mützen auch und fotografieren mit ihrem Handy die orangenen Männer. Ob bald auch noch der Kohlewagen kommt?

Dienstag

Das wäre jetzt aber nicht nötig gewesen, dass die Bahn voll einen auf Lehmann und Märklin macht. Der ganze Bahnverkehr in Deutschland gleicht heute dem Miniatur-Wunderland, der großen Modellbahn im Hamburger Hafen. Und zwar sieht es so aus, als ob einer an allen Schaltern gleichzeitig gedreht hätte. Mal fährt ein Zug ein Stück weit, dann hält er wieder, dann fährt er in Frankfurt-Flughafen zum Regiobahnhof statt zum Fernbahnhof, dann hat die Lok wieder Triebwerkschaden. Bilanz: Heute sechs Stunden Fahrtzeit für vier Stunden Anwesenheit im Büro.

Mittwoch

Nein, es ist jetzt echt nicht mehr lustig. Die kluge Frau sorgt vor und geht in Köln-Deutz direkt zum Schalter: "Fährt der 8.44 heute pünktlich?" Der Mann am Counter – ja, das heißt bei der Bahn echt "Counter" statt Schalter – guckt gar nicht erst auf. "Fällt aus". Aha, und wie komme ich jetzt nach Frankfurt? "Hauptbahnhof". Er kann nur Einwortsätze. Na, da könnten sie auch meine Preisser-Figuren hinsetzen, seine Infos muss man sich eh per Handy besorgen. Sie lauten: Zurück zum Hauptbahnhof, dort in den Ersatzzug steigen, weil der ausgefallene Zug "der Werkstatt zugeführt werden muss". Ich muss demnächst dem Sanatorium zugeführt werden, denn es ist der dritte Tag an saukalten Bahnsteigen, mit nichts als Chaos.

Donnerstag

Die neue "Zeit" erscheint mit einem Artikel "Verspätung eingeplant". Ich lese, was wir alle längst ahnen: Die Kälte ist nicht das Problem, derselbe Hersteller, der unsere deutschen ICEs baut, liefert welche nach Tibet, wo sie minus 46 Grad bestehen. Bislang ohne Panne. Aber der Aufwand lohnt für die paar kalten Tage in Deutschland nicht. Die Ökonomen nennen das Grenzkostenrechnung: Wenn man die Bahn von 86 Prozent Pünktlichkeit – das ist das deutsche Niveau – auf 96 Prozent – das schaffen die Schweizer – hieven würde, dann wäre diese letzten Prozent so teuer wie die ersten 86 Prozent. Ich glaub, diese zehn Prozent, das bin ich. Grenzblöd. Nichts läuft diese Woche, und es ist immer noch kalt. Ich möchte endlich mal mehr Stunden immobil am Schreibtisch sitzen als mehr oder weniger mobil in der Bahn.

Freitag

Damit ich das fatale Verhältnis Pendelzeit-Arbeitszeit doch noch drehen kann, arbeite ich heute zuhause. Kann mich um 8 Uhr an den Computer setzen und bis 17 Uhr durcharbeiten und muss nicht frieren. Wenn ich müde werde, setze ich mich vor meinen Christbaum und drehe den roten Schalter an der Lehmann. Ich habe gehört, das machen sie auch mit ausgebrannten Managern in Psychokliniken. Ich kann das verstehen, nichts ist schöner, als das Gefühl, irgendwas läuft so, wie man will. Und sei es nur die Lehmann-Bahn. Schönes Wochenende!



Über die Autorin:

Ursula Ott, 45, ist stellvertretende Chefredakteurin von chrismon, Chefredakteurin von evangelisch.de, Mutter von zwei Kindern und pendelt täglich zwischen Köln und Frankfurt. www.ursulaott.de

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