Gab es denn überhaupt Hintermänner, als der vorbestrafte 23-Jährige aus dem Dunstkreis der ultra-nationalistischen "Grauen Wölfe" das Feuer auf den Mann in Weiß eröffnete? Was am Nachmittag des 13. Mai 1981 auf dem Petersplatz geschah und den Polen Karol Wojtyla fast das Leben kostete, rückt durch die Freilassung des Attentäters am Montag wieder in den Brennpunkt - wobei die Hintergründe weiter im Dunkeln liegen.
Mal Einzeltäter, dann wieder Frontmann östlicher Geheimdienste
Rückblende: Der polnische Pontifex zeigt sich den Gläubigen in seinem offenen Jeep, als der Türke aus der Menschenmenge heraus mit drei Kugeln den Papst trifft. Eine davon verletzt das Oberhaupt der Katholiken derart stark im Darmbereich, dass Johannes Paul II. literweise Blut verliert und bereits die Sterbesakramente bekommt. Als ein Wunder hat es der Pole angesehen, dass das Neun-Millimeter-Geschoss haarscharf neben seiner Wirbelsäule wieder austrat. Johannes Paul, seit zweieinhalb Jahren im Amt, überlebt. Er vergibt dem Täter noch vom Krankenbett in der römischen Gemelli-Klinik aus und besucht ihn zwei Jahre später im Gefängnis. Die Gottesmutter war sein Schutzengel, daran glaubt er.
Die wirren Äußerungen des Täters, sein spektakuläres Ziel und auch die Tatsache, dass der Vatikan immer wieder mal Schauplatz seltsamer Ränkespiele und Bluttaten gewesen ist, nähren die wildesten Gerüchte - und das über Jahre hinweg, in etlichen Büchern und "Enthüllungen". Nach dem Anschlag rasch überwältigt, wird Agca nur drei Tage später zu lebenslanger Haft verurteilt. 19 Jahre sitzt er davon ab, bis ihn der damalige italienische Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi auf Bitten des Papstes hin amnestiert und an die Türkei ausliefern lässt. Dort warten weitere Haftjahre auf den Mann, der heute 52 Jahre ist.
Mal wollte er Einzeltäter gewesen sein, dann wieder der Frontmann östlicher Geheimdienste. Auch Helfer im Vatikan habe er gehabt, sagte der offensichtlich auf Publicity in eigener Person geeichte Schütze später. Die Verschwörungstheorien schießen ins Kraut wie beim Mord an einem US-Präsidenten. Als am wahrscheinlichsten gilt knapp 30 Jahre danach dies: In einer Geheimdienst-"Achse des Bösen" dürfte Moskaus starker Mann Leonid Breschnew angeordnet haben, den einflussreichen Gegner der kommunistischen Regime in den turbulenten Zeiten zu töten. Neben russischen Geheimdienstleuten seien die Bulgariens und der DDR eingebunden gewesen, meinte ein italienischer Untersuchungsausschuss.
"Drittes Fátima-Geheimnis" hat für Papst nur eine Bedeutung
Wie sehr der Pole zum Fall des Kommunismus beigetragen hat, ist gerade in der jüngsten Zeit zum Jubiläum des Mauerfalls allenthalben gelobt worden. Johannes Paul kümmerte das wenig, ihn faszinierte mehr die Vorsehung, die er 1981 am Werke sah: "Eine Hand hat die Pistole gehalten, eine andere die Kugel gelenkt." Wer die Kugel gelenkt hat, und zwar an lebenswichtigen Organen vorbei, war für ihn keine Frage: Das Attentat fiel auf den Jahrestag der ersten Marienerscheinung im portugiesischen Fátima. Wobei ein Geschoss wohl nur deshalb keinen weiteren Schaden anrichtete, weil sich Karol Wojtyla gerade in dem Augenblick auf dem Petersplatz zu einem Mädchen herunterbeugte.
Also pilgerte der glühende Marienverehrer nach Fátima und legte der Muttergottes die Kugel auf den Altar, die dann in die Krone der Marienstatue eingepasst wurde. Auch sein Nachfolger Benedikt XVI. will in diesem Jahr an dem jährlich von Millionen Pilgern besuchten Wallfahrtsort beten. Joseph Ratzinger war es auch, der dann im Jahr 2000 das lange sorgsam hinter den Vatikan-Mauern gehütete "dritte Fátima-Geheimnis" lüftete, wie es die in dem Ort erschienene Maria drei Hirtenkindern mitgeteilt haben soll: Ein weiß gekleideter und leidender Bischof wankt an Leichen vorbei einem Kreuz auf einem Berg entgegen - für Papst Johannes Paul II. gab es da nur eine Deutung.