Zwei Wochen nach der umstrittenen Neujahrspredigt Margot Käßmanns hat die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) Lob von höchster staatlicher Stelle bekommen. "Mit ihrer Neujahrspredigt in Dresden haben sie uns allen einen Dienst erwiesen", sagte Bundespräsident Horst Köhler beim Festakt zur 1.000-Jahr-Feier der St. Michaeliskirche in Hildesheim.
"Ich mache mir nicht alle Ihre Worte zu eigen", sagte Köhler. "Aber unser Land braucht solche Beiträge. Das ist eine überfällige Debatte", betonte der Bundespräsident unter dem Applaus der Besucher des Festgottesdienstes direkt an die Bischöfin gewandt.
Kritik des Militärdekans Wächter
Ebenfalls am Freitag war zuvor ein offener Brief des Militärdekans Karsten Wächter bekannt geworden, der deutsche Soldaten vor Ort betreut (siehe unten Beitrag unter dem Artikel). Er warf Käßmann vor, dazu beizutragen, dass "auf Kosten der Soldaten zwischen militärischen und zivilen Optionen polarisiert wird". Wächter schreibt in dem Brief an Käßmann, er wünsche sich, "dass unsere Kirche besser und genauer verstehen lernt, was die Soldaten leisten und ertragen". "Wenn man die militärische Option grundweg ablehnt, muss man mindestens Alternativvorschläge mit konkreten Handlungsmöglichkeiten aufzeigen. Sonst fällt das Ernstnehmen schwer", heißt es in dem Schreiben. Zugleich räumte Wächter ein, dass "konzeptionelle Klarheit" über den Einsatz fehle: "Soldaten fühlen sich immer wieder auch als Opfer dieser Unklarheit!"
Trotz des Gebotes, nicht zu töten, gebe es auch aus christlicher Perspektive Situationen, in denen Gewalt angedroht und ausgeführt werden müsse, sagte der EKD-Militärbischof Martin Dutzmann am Donnerstagabend in Hannover bei der Aufzeichnung der Phoenix-Talkshow "tacheles".
Die EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann hatte den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan kritisiert und damit eine öffentliche Debatte ausgelöst. "Nichts ist gut in Afghanistan", hatte die Bischöfin mit Blick auf die Lage in dem Land gesagt. Damit war sie auf Kritik bei CDU und SPD gestoßen, Unterstützung kam von den Grünen. "Ein sofortiger Abzug ist keine Option", sagte Dutzmann. Vielmehr müssten erreichbare und kohärente Ziele abgesteckt und das weitere militärische und zivile Vorgehen aufeinander abgestimmt werden.
In Afghanistan könne zwar nicht eine Demokratie nach westlichem Muster aufgebaut werden, elementare Menschenrechtsverletzungen aber seien nicht hinnehmbar, meinte der Militärbischof. Beim deutschen Engagement müsse dem zivilen Aufbau der Vorrang gegeben werden. Die Taliban müssten vom Westen in die Pflicht genommen werden, riet Professor Michael Wolffsohn von der Universität der Bundeswehr. "Ein Rückzug wäre ein Rückschritt." Die nun entfachte Diskussion über das Vorgehen in Afghanistan hätte schon zu Beginn des Einsatzes geführt werden müssen. "Man sagt uns nicht, was Sache ist, und schickt die Soldaten in eine Gefahr, die auf diese Weise nicht verantwortbar ist."
Kritik vom SPD-Politiker Klose
Der SPD-Politiker Hans-Ulrich Klose dagegen hat Bischöfin Margot Käßmann geraten, sich nicht zu sehr in gesellschaftliche Fragen einzumischen. Kirche solle Kirche bleiben und nicht zur Partei werden, sagte Klose. Klose kritisierte in der "Bild"-Zeitung, einen schnellen Rückzug zu fordern, sei zu einfach gedacht: "Dadurch entsteht kein Frieden, im Gegenteil." Wenn das Militär jetzt abgezogen werde, seien in sechs Wochen die Taliban in Afghanistan wieder an der Macht.
Für die Soldaten dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass sie keine Christen seien, weil sie unter Umständen töten müssten. Der außenpolitische Experte der SPD-Bundestagsfraktion lehnte es ab, ein konkretes Datum für einen Abzug der Soldaten aus Afghanistan zu nennen. Auch eine Truppenaufstockung dürfe nicht kategorisch abgelehnt werden.
Merkel erstaunt über Aufregung um Käßmann-Äußerungen
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich verwundert über die Aufregung um Äußerungen der EKD-Ratsvorsitzenden Margot Käßmann zum deutschen Afghanistan-Einsatz gezeigt. "Ich glaube, dass die Einmischung in aktuelle politische Fragen begrüßt werden sollte von der Politik. Ich muss ja nicht jede Meinung teilen", sagte Merkel in der am Donnerstag aufgezeichneten Phoenix-Sendung "Zeitzeugen", die am Sonntag ausgestrahlt wird.
"Die Evangelische Kirche hat sich zu vielen Fragen eine Meinung gebildet und ich glaube, auch in der Katholischen Kirche ist das durchaus üblich", sagte Merkel. Man könne nicht immer einer Meinung sein. "Insofern kann ich mit einer solchen Meinungsäußerung sehr gelassen umgehen." Bei einem Treffen hatte Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) die Bischöfin zu einem Truppenbesuch in Afghanistan eingeladen. Die Theologin soll auch zur Führungsakademie der Bundeswehr nach Hamburg kommen, während der Minister eine Akademietagung der Evangelischen Kirche besucht.
Nun, wo Käßmann Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche sei, habe ihr Wort noch mehr Gewicht, als zur der Zeit, als sie ausschließlich Bischöfin in Hannover war, sagte Merkel. "Ich sage jetzt, dass das meine Meinung nicht ist, aber dass ich auch manche Aufregung nicht so ganz verstehen kann, weil man mit unterschiedlichen Meinungen auch leben muss", betonte Merkel. Mit Blick auf die am 28. Januar in London stattfindende Afghanistan-Konferenz sagte Merkel, es gehe jetzt darum, eine Perspektive für die kommenden drei Jahre zu entwickeln.
Der Militäreinsatz in Afghanistan fordert immer mehr Opfer. Und immer heftiger wird über einen Abzug der Soldaten gestritten. Darüber diskutierte unter anderem der evangelische Militärbischof Dr. Martin Dutzmann bei "Tacheles – Talk am roten Tisch". Tacheles und evangelisch.de laden zum Chat mit dem Militärbischof am Sonntag, den 17.1.2010 von 18 bis 19 Uhr.