Fußball, Tattoo und Religion: Passionsspiel mit Beckham
Es ist ein beliebtes Ritual am Ende eines großen Fußballspiels: Die Champions entledigen sich ihrer Klamotten – nicht nur, um ihre Trikots zu tauschen. Die Idole stellen auch noch einmal die Quellen ihrer Kraft genüsslich zur Schau: ihre göttlichen Körper. Auf diese Weise entpanzert, unterstreichen die Männer ihre Stärke: „Ich bin nicht verwundet, ich bin unangetastet, sieh her, ich bin unbesiegbar.“
14.01.2010
Von Marcus A. Friedrich

Auch David Beckham hat nach gewonnenem Spiel des AC Mailand gegen Juventus Turin sein Trikot geschmissen und seine Muskeln spielen lassen. Was da zum Vorschein kam, hat allerdings manchen Fan überrascht und für Furore gesorgt: Sein neues Tattoo in der Lende zeigt in der klassisch-kitschigen Ästhetik der Tattoo-Konvention einen ausgepeitschten Jesus. Dornenbekrönt sitzt er auf dem umgelegten Kreuz, ermattet, auch ein Stück entspannt vielleicht, den Kopf in einer Korona des Lichts, die Hände ineinander liegend, fast wie zum Gebet.

"Kick it like Jesus!" titelte bild.de zu David Beckhams neuem Tattoo und kann doch nicht wirklich etwas damit anfangen. Dies ist alles andere als ein jesuanisches Fußball-Idol! Bei genauem Hinsehen erinnert die Haltung des Gekreuzigten eher an Spieler nach verlorener Partie: Sitzen die Unterlegenen nicht oft vereinzelt auf dem Rasen und raufen abwechselnd die Haare und die Grasnarbe, während die Siegerelf als Mannschaft vereint ihre Ehrenrunde dreht? Könnte es sein, dass David Beckham diese Körperhaltung vertraut vorkam, als er sie im Katalog seines Tätowierers entdeckte? Jener Moment, in dem er, wie andere Spieler, das Kreuz eines verlorenen Spiels trägt, könnte hier Pate gestanden haben: der Zusammenbruch am Ende, in sich gekehrt nach dem Scheitern, der gepeitschte Körper, das gesenkte Haupt.

Fußballer bekreuzigen sich

Immer wieder bekreuzigen sich Fußballer, bevor sie das Spielfeld betreten oder vor dem Spiel, und erbitten damit, dass der, der das Kreuz trug, mit ihnen das Kreuz des Spiels tragen möge. Fußball ist schließlich kein Spaziergang, sondern ein Kampf. Ein zeitlich begrenzter, nicht alltäglicher ritueller Spiel-Raum gesteigerter Lust und Kraft, aber auch erhöhter Gefahr. Zwar gibt es Regeln, aber diese werden immer wieder verletzt, und mit ihnen die Spieler.

Wo immer derartige Räume und Zeiten der Gefahr betreten werden, unter gegnerischen Stämmen oder auf See, im Knast oder auf dem Fußballfeld, bedient sich der Mensch Markierungen der Körpergrenze, der Haut, und versucht damit Schutz und Schirm des Höchsten auf den Plan zu rufen. In dieser Spur könnten auch die Engelsflügel gedeutet werden, die Beckham auf den Schulterblättern trägt: als Schutzengel. Und hier liegt möglicherweise auch ein Grund für die aktuell weite Verbreitung von Tattoos: Menschen folgen dem Bedürfnis, sich spirituell zu schützen in einer agressiven Welt.

So verewigt Beckham mit seinen Körper-Zeichnungen, was ihn ewig schützen und halten soll. Und nicht nur die Bindung zu seiner Frau Victoria soll so haltbar sein wie seine entsprechenden Tattoos. Auch das persönliche Scheitern soll entkräftet werden, indem es am eigenen Leib zur Abbildung kommt. Menschen benutzen Zeichen und Symbole beim Tätowieren seit jeher auch nach dem „homöopathischen“ Prinzip: Gleiches soll mit Gleichem bezwungen und neutralisiert werden. So lässt sich auch erklären, warum zum Beispiel der Totenkopf als Körperbild so populär ist. Er soll nicht nur Lebende erschrecken, sondern auch den Tod bannen.

Budda passt nicht zu Beckham

Die Vermutung liegt nahe, dass Beckham mit dem Motiv des Künstlers Matthew R. Brooks "The Man of Sorrows" vor allem ästhetisch zitiert – wie er in der postmodernen Bilderdynamik seiner Tätowierungen auch schon andere Buchstaben-Nudeln aus der Zeichensuppe herausgesucht hat: Ein bisschen Hindi, ein bisschen Hebräisch. Ein Budda geht wohl weniger. Er wäre sicher zu beleibt, um als Körperidol für einen Fußballer herzuhalten.

Beckham bildet aber auf diese Weise als Spieler, mit seinem durchtrainierten Körper und dem leidenden Christus an der verletzlichen Lende, das ganze Menschsein ab: Die starke und die verwundbare Seite menschlichen Lebens. Ob die Befreiung davon, nur eins von beidem zu sein, Sieger oder Gescheiterter, ein Glaubensstatement ist, das müsste man den Spieler selber fragen.

Wäre das Tattoo christlich-religiös motiviert, so hinge die Glaubensbotschaft des Bildes auf eine merkwürdige Weise dazwischen: Es zeigt weder, wie üblich, den gekreuzigten Christus, der für alles Leid des Daseins Identifikationsgrund böte, noch den Auferstandenen, der für die Überwindung allen Leides stünde. Ein Christus wird hier sichtbar, der die Passion wohl irgendwie hinter sich hat, aber noch nicht wieder auferstanden ist – noch innehält, wie der gescheiterte Spieler auf dem Rasen. Der aber weiß genau, dass gilt: "Nach dem Spiel ist vor dem Spiel! Gleich im nächsten Stadion geht die Passion von vorne los." Mit Jesus Christus hingegen verbinden Christen die Aussage, dass das Leiden und Opfern bei Gott ein Ende hat. Dann wäre Fußball unter irdischen Bedingungen, wie vielleicht das Leben überhaupt, doch nur ein Spiel, ein Passionsspiel.

 


Marcus A. Friedrich ist Pfarrer und Erwachsenenbildner in der Evangelisch-Lutherischen Gemeinde Bozen, hat promoviert über die Parallelen von Schauspiel und Gottesdienst und schreibt über popkulturelle Phänomene in praktisch-theologischer Perspektive. Mit der religiösen Dimension von Tattoos befasst er sich unter anderem in dem Aufsatz: Das Kreuz am Körper, Magazin für Theologie und Ästhetik 6/2000.