Wenn Altenheimbewohner zur Flasche greifen
Noch immer ist Sucht im Pflegeheim ein Tabuthema. Nur ungern sprechen Heimleitungen darüber, wenn die Bewohner alkoholabhängig oder tablettensüchtig sind. Auch gehen die Meinungen bei der Frage auseinander, wie man mit den betroffenen Senioren umgehen soll: Sind etwa Therapien im fortgeschrittenen Alter noch sinnvoll? Eine neue Studie gibt Aufschluss.
14.01.2010
Von Alexander Lang

"Wir therapieren und heilen nicht, sondern begleiten die alten Menschen in ihrer letzten Lebensphase", macht Nicola Hagemann, Leiterin des Altenpflegezentrum "Hieronymus-Hofer-Haus" in Frankenthal deutlich. In der Einrichtung des Landesvereins für Innere Mission in der Pfalz leben rund 120 Hochaltrige.

Hagemann sieht keinen Grund, den Konsum von Alkohol in ihrer Einrichtung zu verteufeln: Einmal monatlich gebe es in der Cafeteria einen "Dämmerschoppen" mit Pfälzer Wein. Jedem Bewohner stehe es frei, sein Glas Bier oder Wein zu trinken. Menschen, die es teilweise seit Jahrzehnten gewohnt seien, zu trinken, werde man in ihrer letzten Lebensphase im Heim das Weitertrinken nicht verbieten, betont Hagemann.

Pflegekräfte im Umgang mit suchtkranken Menschen oft überfordert

Einfache Lösungen für den Umgang mit suchtkranken Heimbewohnern gibt es nicht, sagt die Frankfurter Suchtforscherin Irmgard Vogt, die derzeit die erste bundesweite Studie über Alkoholismus in Alten- und Pflegeheimen leitet. "Es gibt keine generellen Regelungen, solange die Betroffenen selbstverantwortlich sind, haben sie ein Recht darauf, zu trinken", betont die geschäftsführende Direktorin am Institut für Suchtforschung an der Frankfurter Fachhochschule.

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In Deutschland haben rund 400.000 alte Menschen nach Schätzungen der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen in Hamm ein Alkoholproblem, vor allem Männer. Die Zahl der älteren Tablettenabhängigen, vor allem Frauen, ist wohl noch deutlich höher. Immer mehr Betroffene suchten Rat und Hilfe bei den Suchtberatungsstellen der Diakonie, vermeldet Achim Hoffmann, Referent für Suchtkrankenhilfe beim Diakonischen Werk Pfalz in Speyer.

Pflegekräfte seien im Umgang mit suchtkranken Menschen oft überfordert, weiß Suchtforscherin Vogt. Zudem verschrieben Ärzte immer mehr Medikamente, was bei vielen Senioren zu einer gesundheitsgefährlichen Übermedikamentierung führe. In vielen Fällen hätten sie erst im späteren Lebensalter nach dem Berufsausstieg, wegen Einsamkeit oder Trauer mit dem Trinken begonnen. Therapien sollten nur angeboten werden für Heimbewohner, die das wünschten.

Zu einem deftigen Essen Alkohol: "Das ist ein Stück Lebensfreude"

Das Leben im Altenheim führt nach Angaben von Wolfgang Gather, Neurologe an der Rheinhessen-Fachklinik in Alzey, in der Regel dazu, dass der Alkoholmissbrauch abnehme. In Senioreneinrichtungen sei die soziale Kontrolle durch Angestellte und Mitbewohner stärker als bei Menschen, die alleine in ihrer Wohnung leben. Die Erfolgschancen einer Therapie älterer Alkoholabhängiger lägen bei rund 50 Prozent und seien günstiger als bei jüngeren Menschen.

Das Gespräch suchen, nicht allein lassen - aber auch nicht "missionieren": Auf diesen Nenner bringt Sabine Kaffka, die Vorsitzende des pfälzischen Konvents für Altenheimseelsorge, ihre Erfahrungen mit Suchtkranken. Auch sie plädiert dafür, älteren Heimbewohnern den maßvollen Alkoholgenuss nicht zu verwehren. "Das Leben im Altersheim sollte sich nur wenig vom Alltag zu Hause unterscheiden", rät die Pfarrerin. Dazu gehöre es auch, zu einem deftigen Essen Alkohol trinken zu können, "denn das ist auch ein Stück Lebensfreude". 

epd