Die Kunst der Fuge - Zum Tode Éric Rohmers
Er gehört zu den bekanntesten Regisseuren der französischen Nouvelle Vague der fünfziger und sechziger Jahre. Am Montag ist Éric Rohmer im Alter von 89 Jahren gestorben. Ein Nachruf.
12.01.2010
Von Gerhard Midding

Er liebte das natürliche Licht, seinen Kameramännern (und vor allem –frauen) untersagte er es,  cheinwerfer zu verwenden. Gespräche über die Liebe bei wechselnder Witterung einzufangen, war ihm  chauwert genug.  Das Wetter erfüllte mannigfache erzählerische Aufträge in seinem Kino.  Es ist unbeständig wie die Gefühle. Es ist etwas, dem man ausgeliefert ist und über das man keine Kontrolle hat.  Er war sogar bereit, die Reihenfolge seiner "Sechs moralischen Erzählungen" umzustellen, um einen Winter abzuwarten, in dem sein Hauptdarsteller Jean-Louis Trintignant endlich für "Meine Nacht bei Maude" frei war.

Dabei gehörte Eric Rohmer zu den wenigen Filmemachern, deren Werk einem Masterplan folgte, einem präzisen Entwurf des zyklischen Erzählens. Den von 1962 bis 1973 entstandenen "Moralischen Erzählungen" ließ er später die "Komödien und Sprichwörter" und dann die "Geschichte der vier Jahreszeiten" folgen. Der erste Zyklus gehorchte streng einem Muster, das er in den weiteren kunstvoll verwandelte: Ein eher humorloser Mann, der kurz davor steht, eine feste Bindung zu besiegeln, begegnet einer lebendigen, selbstbewussten Frau, die ihn so sehr bezaubert, dass er seine Entscheidung in Frage stellt. Der Einbruch der Spontaneität bringt die romantischen Gewissheiten ins Wanken, fungiert als eine angstbesetzte Parenthese der Freiheit.

Nicht von ungefähr war die große Retrospektive, die ihm die Cinémathéque française vor sechs Jahren widmete, mit "Die Kunst der Fuge" überschrieben: Rohmer hat seine insgesamt 25 Filme beharrlich als Variation eines Themas angelegt.1920 im südfranzösischen Tulle als Jean-Marie Maurice Scherer geboren (sein Pseudonym ist angeblich eine Hommage an die bewunderten Krimiautoren Eric Ambler und Sax Rohmer), war er gut ein Jahrzehnt älter als seine Mitstreiter aus der Nouvelle Vague.

Roman "Elisabeth"

Er hatte bereits als Lehrer gearbeitet und 1946 unter dem Namen Gilbert Cordier den Roman "Elisabeth" geschrieben (auf Deutsch 2003 erschienen), bevor er 1951 als Kritiker zu den "Cahiers du cinéma" stieß und im gleichen Jahr seinen ersten Kurzfilm drehte. In seinen Elogen auf Hollywoodmeister wie Hitchcock, Hawks und Joseph L. Mankiewicz ahnte er die eigenen Filme bereits voraus. Nach dem Misserfolg seines Langfilmdebüts "Im Zeichen des Löwen" (1959) kehrte er als autokratischer Chefredakteur zu den "Cahiers" zurück. Nach einer Palastrevolte wurde er einige Jahre später entthront, drehte Dokumentarfilme fürs Fernsehen und nahm seinen ersten Filmzyklus in Angriff.

Obwohl er zeitweilig erstaunliche Erfolge feierte - zumal an den Kassen der Programmkinos in den USA und Deutschland war er seit Ende der 60er Jahre ein verlässlicher Gefühlswert -, hat er seine Arbeit als regelmäßige Rückkehr zum Amateurfilm begriffen. Seine Filme kosteten wenig, weil er meist nur mit achtköpfigem Team und vorzugsweise auf 16 mm drehte. Auf Motivsuche ging er selbst, und wenn einmal für eine Szene ein Duschvorhang fehlte besorgte er ihn eigenhändig im nächsten Kaufhaus. Diesen Produktionsbedingungen ist eine eigene, unverwechselbare Ästhetik geschuldet. Seine unaufwändigen, aber keineswegs unkomplizierten Liebesintrigen setzte er mit ausschweifender Schmucklosigkeit in Szene. Dieser unsichtbare, funktionelle Regiestil stand in der Tradition von Howard Hawks, auf den er sich sogar bei seiner Verfilmung von Kleists "Die Marquise von O." bezog. Dabei war er eher literarischen, als filmischen Vorbildern verpflichtet. Ihn interessierte nicht, was passiert, sondern was in den Figuren vorgeht.

Liebe und Sehnsucht

 Liebe und Sehnsucht sind bei ihm Plan oder Vorsatz, sie entfalten ihre filmische Aura endgültig erst in der Reflexion. Das Wort fungiert als Ersatz, Dopplung und Rekonstruktion, die Konversation erscheint ihm als triftigstes Mittel, die filmischen Bedingungen der Wahrheit zu erforschen. Sein Stil lässt sich schwer imitieren, war gleichwohl überaus einflussreich: Dass die Konversation im französischen Kino zu einer ganz eigenen, dominierenden Kategorie des Handelns wurde, ist vor allem ihm zu verdanken.

Rohmers Kino ist eines der Evidenz, das vorgibt, nichts zu verbergen. Ihm ist freilich ein weiterer Boden von Einfühlung und Distanz eingezogen, eine den Figuren zu- und dann wieder liebevoll abgewandte Ironie. Diese funktioniert vorrangig dank der Feinnervigkeit, mit der er Schauspieltalente entdeckte und führte. Sein großzügiger Blick galt vor allem den Frauen, deren Schönheit und Sinnlichkeit er in aller Keuschheit feierte.

Bei den "Cahiers" machte ihn das Primat des Wortes noch zum Antipoden von Jacques Rivette, dem großen Propagandisten der mise-en-scène, der Inszenierung. Letzthin nannte man sie in einem Atemzug, da ihr Spätwerk unter dem doppelten Vorzeichen der Beständigkeit und jugendlicher Entdeckerfreude steht. Es spottet Zeitgeist und Moden mit ungebrochen leichtfüßiger Strenge. Ihre erzählerische Frische bewahrten sie sich, in dem sie ihr Kino einer Zeitkapsel anvertrauten: Man schaut ihre Filme wie Szenen aus einem parallelen Leben, das nicht hermetisch abgeschottet ist von der Gegenwart, aber von ihr doch weitgehend unangetastet bleibt.

Schlauer Fuchs

Dabei erwies sich Rohmer als ein schlauer Fuchs. Wenn er merkte, dass der Enthusiasmus selbst seiner ausdauerndsten Parteigänger allmählich Schleifspuren aufwies, begann er einen neuen Zyklus. Dafür musste er sich selbst und das Kino nicht komplett neu erfinden, agierte aber oft als Pionier. "Die Lady und der Herzog", sein intimistisches Historiendrama aus der Zeit der Französischen Revolution, knüpfte an die Tradition der tableaux vivants an, der zum Leben erweckten Bilder. Aber zugleich war es einer der ersten Filme, die in Frankreich digital gedreht wurden.

Sein Abschied vom Kino sollte 2007 die Adaption von Honoré d’Urfés Schäferroman "Les Amours d`Astrée et Céladon", der ein antikes, imaginäres Gallien evoziert. Auch in diesem luftigen Arkadien blieb er ein Cineast des Wortlauts, für den die Gesten hinter die Gesprächigkeit zurücktreten müssen. Er unterzog die eigene Schaulust einer ironischen Prüfung. Er filmte seine jungen Darsteller wie ein Unschuldiger, der damit kokettiert, ein Voyeur zu sein. Der Anblick einer entblößten Brust erfüllte ihn mit keuscher Inbrunst: Er schien erstaunt über die Kühnheit des eigenen Blicks. Welcher andere Regisseur konnte sich so tief in die Sitten einer vergangenen Epoche einfühlen?