Noch vor einigen Jahren gab es für viele Menschen in Deutschland einen bevorzugten Weg ins Internet: den über AOL. Denn das Prinzip des US-Konzerns America Online war einfach: Nahezu tonnenweise kippte AOL CD-Roms mit der eigenen Internetsoftware – basierend auf dem Webbrowser Netsacpe - in deutsche Briefkästen. In jedem Hausflur lagen die glitzernden Silberlinge mit den drei großen blauen Buchstaben AOL herum. Die Nutzer mussten die CD nur in ihrem PC einlegen, dann ging's los: AOL startete jedes Mal mit einer kurzen Animation, in der ein kleines gelbes Männchen losrannte ins World Wide Web - begleitet von einem Piepen und Rauschen des Modems, das älteren Internetnutzern ewig im Ohr bleiben wird. DSL kam erst später. "Ich bin drin", staunte da Boris Becker in der bekannten AOL-Fernsehwerbung.
Die große Zeit von AOL in Deutschland ist lange vorbei. Im Geschäft mit DSL-Netzen konnte AOL nie Fuß fassen. Konkurrenten wie 1und1, Alice, Arcor und T-Home bestimmen den Markt mit Internetzugängen. 2007 hatte sich AOL in Deutschland aus diesem Geschäft verabschiedet und seinen Kundenstamm sowie einige Callcenter an Hansenet (Alice) verkauft. AOL.de ist seither lediglich ein Internetportal, das, ähnlich wie etwa gmx.de oder web.de., E-Mail-Adressen anbietet und auf seiner Seite Nachrichten und Informationen präsentiert. Finanziert wird das Angebot durch Werbung. Zumindest bei den Nutzern ist AOL.de aber weiterhin erfolgreich. Mit 75 Millionen Visits lag das Portal zuletzt auf Rang elf deutscher Internetseiten.
Nur noch 140 Mitarbeiter
Von einstmals über 1.000 AOL-Mitarbeiten in Deutschland sind nur noch rund 140 geblieben. Aber auch die müssen nun um ihren Job bangen. Die Büros in Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt und München sollen geschlossen werden, berichtet der Fachdienst horizont.net. Das deutsche AOL-Portal soll zwar bestehen bleiben, gedacht wird aber offenbar an eine abgespeckte Version, gefüttert vor allem mit Inhalten des Kooperationspartners Welt Online.
In seinen Glanzzeiten gehörte AOL zu den bekanntesten Unternehmen der Welt – und zu den erfolgreichsten. Wenn Meg Ryan in "E-Mail für Dich" (1998) in die Tasten griff, um Tom Hanks zu schreiben, dann nutzte sie dazu natürlich AOL-Software. Und wenn Tom Hanks antwortete, dann verkündete eine Stimme die frohe Botschaft: "You got mail" ("Sie haben Post"). Noch heute rufen sich Menschen in Büros gelegentlich diesen Satz zu, wenn sie auf eine E-Mail aufmerksam machen wollen. AOL machte das Internet einfach und damit nutzbar auch für jene, die mit Technik nichts am Hut hatten.
2001 war AOL an der Börse so wertvoll, dass das Unternehmen den Mediengiganten TimeWarner übernehmen konnte. Doch dies war zugleich der Anfang vom Ende. Erwünschte Synergien traten kaum ein, als die Internetblase platze, verlor auch AOL/Time Warner rapide an Wert. Es fehlte Geld für Investitionen. Statt eigene Netze zu kaufen, verabschiedete sich AOL immer mehr von seinem ehemaligen Kerngeschäft, Menschen ins Internet zu bringen. Die Erlöse aus der Vermarktung von Inhalten fingen die dadurch sinkenden Umsätze aber bei weitem nicht auf. Daran verdienten andere besser, allen voran Apple mit seinem i-store. Mit bis zu 163 Milliarden Dollar war AOL zwischenzeitlich an der Börse bewertet worden, aktuell sind es nur noch rund 3,5 Milliarden Dollar.
Erneuter Börsengang
2009 trennten sich TimeWarner und AOL wieder, im Dezember ging AOL erneut an die Börse, um sich neu aufzustellen. Das Unternehmen will sein Geld künftig allein damit verdienen, Internetseiten zu betreiben, die mit Werbung finanziert werden und damit, diese Werbung auch selbst zu vermarkten. Ein Wachstumsmarkt einerseits, die Erlöse mit Internetwerbung wuchsen in den vergangenen Jahren im zweistelligen Bereich. Andererseits reicht das oft noch nicht aus, um Internetseiten profitabel zu betreiben. So leiden zum Beispiel auch deutsche Verlage darunter, dass ihre Internetangebote in der Regel Verlustbringer sind. Die Debatte über kostenpflichtige Angebote im Internet ist daher jüngst erneut entbrannt, in den USA befeuert durch den Medientycoon Rupert Murdoch, in Deutschland forciert vor allem durch den Axel Springer Verlag. Auch AOL denkt daher durchaus darüber nach, Bezahlinhalte anzubieten.
Dass AOL in Deutschland sparen muss, wird denn auch mit Kostendruck begründet. Ende vergangenen Jahres hatte der Konzern angekündigt, 300 Millionen US-Dollar pro Jahr einsparen zu wollen – 2.500 Entlassungen weltweit standen ins Haus, obwohl AOL immerhin pro Jahr noch rund 4,2 Milliarden Dollar Umsatz macht. Eine Umstrukturierung sei nötig, um das Unternehmen effizienter und zukunftssicher zu machen, hieß es damals. Neben Deutschland sind von den Sparmaßnahmen voraussichtlich auch weitere Standorte in Europa betroffen. Ein Rückzug aus Schweden und Spanien ist laut horizont.net bereits beschlossen. Und in den meisten der elf Länder Europas, in denen AOL vertreten ist, laufen offenbar schon Gespräche mit den Betriebsräten.
Soundtrack: So klang früher der Weg ins Internet
Henrik Schmitz ist Redakteur bei evangelisch.de und betreut die Ressorts Kultur und Medien