Vor einem Dreivierteljahrhundert trat mit den Comedian Harmonists eines der besten Ensembles der deutschen Musikgeschichte mit einem Lied an die Öffentlichkeit, das die Jahrzehnte später erfolgte Gründung der Partei "Die Grünen" musikalisch schon einmal vorwegnahm: "Mein kleiner grüner Kaktus" lautete der Titel. Und als hätte man damals schon geahnt, welchen Reflexen die Grünen dereinst folgen würden, beschrieb das Lied die Reaktion des besungenen kleinen grünen Kaktus gegenüber echten und nur scheinbaren Bösewichtern mit der dreifachen Wiederholung, dass der Kaktus eben diese Bösewichter einfach "sticht, sticht, sticht".
Opposition eher fundamental als fundiert
Nun ist es nicht das Schlechteste, manchmal ein bisschen stachelig zu sein. So ein Pieks in den Allerwertesten lässt aus dem Sessel, in dem man es sich möglicherweise schon recht bequem gemacht hat, hochfahren und fördert im Idealfall die körperliche Durchblutung – auch die des Gehirns. Genau das wollten die Grünen erreichen, als sie sich vor 30 Jahren nach endlos scheinenden Debatten in Karlsruhe gründeten – ein bunter Haufen, dessen Vertreter bisweilen nicht weniger stachelig aussahen als ihre Absichten es waren.
Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich war damals schon und bin noch heute der Auffassung, dass Opposition – gerne auch etwas schrille Opposition – für eine Demokratie unverzichtbar ist, wenn sie fundiert und konstruktiv ist.
Die Opposition indes, die in den ersten Jahren von den Grünen kam, war eher fundamental als fundiert. Eher konstruiert als konstruktiv schienen die Argumente dieser neuen politischen Kraft zu sein. Den Grünen haftete ein Geburtsfehler an – der unbedingte Wille nämlich, nur Opposition und auf keinen Fall Partei sein zu wollen.
Erwachsenwerden tat weh, sehr weh
Als evangelischer Christ, der seinen aktiven Beitrag in der Gesellschaft leisten und Verantwortung für diese Gesellschaft übernehmen will, war mir diese Haltung fremd. Und sie war mir auch, ehrlich gesagt, ein bisschen zu kindisch. Trotzig schien der kleine grüne Kaktus auf seinem Balkon zu stehen und ein bisschen herumzupieksen, wohin er mit seinen Stacheln gelangen konnte, und das alles aus der sicheren Position des Nichtverantwortlichen heraus. Erwachsenwerden sah aber anders aus. Und tat weh, sehr weh.
An niemandem ist das Erwachsenwerden der Grünen so gut und so sichtbar nachzuvollziehen wie an Joschka Fischer. Mit seinem Eid auf die Verfassung des Landes Hessen, den er am 12. Dezember 1985 als frisch gebackener Umweltminister ablegte, kamen die Grünen in die Pubertät. Sie stellten fest, dass es neben den idealen Zielen reale Hindernisse auf dem Weg zu diesen Zielen gab. Und sie mussten die grüne Farbe, die sie bislang nur vor sich hergetragen hatten, immer öfter auch bekennen. Schmerzhafte Diskussionen bescherte das der Partei mit sich selbst und noch viel schmerzhaftere Kompromisse, die die zunehmend erstarkenden Realisten den Fundamentalisten abtrotzten. Der Kaktus, er richtete seine Stacheln immer wieder auch gegen sich selbst. Dass er den Mut dazu aufgebracht hat, spricht für ihn.
1998 war die Pubertät endgültig zu Ende
Das Ergebnis dieser Entwicklung ist bekannt. Es lässt sich an zahlreichen Lebensstationen der Jubilarin ablesen, vor allem aber an dieser: 1998 trat der Bundesaußenminister und Vizekanzler Joschka Fischer für den ersten Kampfeinsatz der Bundeswehr in ihrer Geschichte ein. Aus einer Partei, die sich stets als Friedenspartei verstanden hatte, war eine Partei geworden, die sich nun im Gefolge ihres mächtigsten Repräsentanten für einen gewaltsamen Militäreinsatz eben dieses Staates auszusprechen gezwungen sah. "Verheerend!", mochte sich mancher alte und alternde Ideologe von einst da denken. Und "Endlich!" dachten wohl diejenigen sich, die die Pubertät der Grünen mal konsterniert, mal amüsiert verfolgt hatten und nun sogar hofften, sie einmal im fortgeschrittenen Erwachsenenalter, so um den dreißigsten Geburtstag herum, für ein Bündnis zu gewinnen. Dass dies unter bestimmten Vorzeichen und je nach regionalen Verhältnissen grundsätzlich möglich ist für eine demokratische Partei, das beweisen die christdemokratischen Länderchefs Ole von Beust und Peter Müller.
Ja, die Grünen sind erwachsen geworden. Manchmal kommen sie mir so erwachsen, so arriviert vor, dass man ihnen "Ein bisschen mehr Leichtigkeit und ein bisschen mehr Leichtsinn, bitte!" zurufen möchte. Auch für diesen Fall haben die Comedian Harmonists im Übrigen vorgesorgt. Denn der Refrain eines anderen, möglicherweise speziell für alternde Geburtstagskinder geschriebenen Liedes lautet: "Ein bisschen Leichtsinn kann nicht schaden …"
Günther Beckstein ist Franke, engagierter Protestant und sitzt seit deutlich mehr als 30 Jahren für die CSU im bayerischen Landtag. Der promovierte Jurist war nach langen Jahren als bayerischer Innenminister von 2007 bis 2008 Ministerpräsident des Freistaats. Er ist Vizepräses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) - seine "Chefin" in dieser Funktion ist die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt.