Afghanistan: Käßmann betont Vorrang für zivile Hilfe
Bischöfin Margot Käßmann bleibt bei ihrer Haltung, dass Afghanistan eher zivile als militärische Hilfe benötigt - und betont zugleich ihre Verbundenheit mit den deutschen Soldaten vor Ort. In der ARD-Sendung "Beckmann" ließ die EKD-Ratsvorsitzende durchklingen, dass die Kritik an ihren Afghanistan-Äußerungen wehgetan hat. Gleichwohl bekannte sie: "Ich stehe dazu, was ich gesagt habe." Unterdessen zieht die politische Diskussion immer größere Kreise.
12.01.2010
Von Bernd Buchner

Afghanistan ist ein Reizthema in der deutschen Öffentlichkeit. 4.500 Bundeswehrsoldaten sind gegenwärtig am Hindukusch stationiert - das Parlament steht hinter dem Einsatz, doch die Bevölkerung ist mehrheitlich dagegen. Da wundert es nicht, dass es als Stich ins Wespennest empfunden wird, wenn sich eine prominente Kirchenvertreterin wie die EKD-Ratsvorsitzende Bischöfin Margot Käßmann kritisch über das militärische Engagement äußert: "Nichts ist gut in Afghanistan!" Heftige Reaktionen waren die Folge, seit fast zwei Wochen beherrscht das Thema die Medien in der Bundesrepublik.

Bischöfin Käßmann musste sich einiges anhören nach ihrer Neujahrspredigt in der Dresdener Frauenkirche. Von Ahnungslosigkeit war da die Rede, von Naivität, von einseitiger christlicher Friedensrhetorik. In der ARD-Talksendung "Beckmann" verhehlte die hannoversche Landesbischöfin am Montagabend nicht, dass die Angriffe sie getroffen haben - und bleibt doch unbeirrt. Sie würde die Predigt, in der sie eine klare Abzugsperspektive für die Bundeswehr angemahnt hatte, genauso wieder halten, so Käßmann. Den Einsatz internationaler Streitkräfte in Afghanistan lehne sie nicht grundsätzlich ab: "Ich begreife schon, dass im Moment Waffen dazu beitragen können, dass ziviler Aufbau möglich ist."

Wehrbeauftragter wiederholt Vorwürfe

Allerdings - und darauf kommt es der obersten Repräsentantin von knapp 25 Millionen Protestanten in Deutschland an - steht in den Diskussionen um Afghanistan die militärische Perspektive zu stark im Vordergrund. "Es muss für uns immer einen Vorrang für zivil geben", sagte Käßmann im Gespräch mit Moderator Reinhold Beckmann. Hierüber sei sie sich mit Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) einig gewesen - die Bischöfin und der Ressortchef waren am Montagmorgen in Berlin zu einem klärenden Gespräch zusammengekommen und hatten dabei auch einen gemeinsamen Besuch in der Kriegsregion vereinbart.

Dass Käßmann es ernst meint mit ihrer Sorge um Afghanistan und die deutschen Truppen dort, haben noch nicht alle verstanden. So betonte der Bundestags-Wehrbeauftragte Reinhold Robbe (SPD) im ARD-Nachtmagazin erneut, viele Armeeangehörige hätten nach der Predigt der Bischöfin den Eindruck, gegen das Gebot Gottes zu handeln - und fühlten sich von der evangelischen Kirche im Stich gelassen. Käßmann wehrte sich: "Ich habe immer gesagt, dass die Soldaten unseren Rückhalt brauchen", sagte die Bischöfin und berichtete von Gesprächen mit Betroffenen - etwa mit einem jungen Bundeswehrmann, der einen Anschlag überlebt hat, oder der Witwe eines Soldaten.

"Wir müssen nichts beschönigen"

Die EKD-Ratschefin zeigte sich im Übrigen überrascht von den gegen sie erhobenen Vorwürfen. Was sie vertrete, sei seit langer Zeit die friedenspolitische Position ihrer Kirche. "Als Christin kann ich diesen Blick wagen und muss nichts beschönigen, was in der Gesellschaft schiefläuft." Zudem, so Käßmann, hätten ihre Sätze über die Lage in Afghanistan in einem bestimmten Zusammenhang gestanden, den auch jeder nachlesen könne. Sie habe in Dresden eine "sehr seelsorgerische Predigt mit einer kleinen Passage zum politischen gesellschaftlichen Geschehen" gehalten - und diese sei ihr "um die Ohren gehauen worden". Eine Provokation, die nicht gezielt, aber offenbar notwendig gewesen sei, so die Bischöfin.

Erfreut äußerte sie sich über den Rückhalt, den sie in der Diskussion durch die leitenden Geistlichen aus den Reihen der evangelischen Kirche erhalten habe. Dies sei "großartig", verdeutlichte Käßmann. So hatten sich der EKD-Militärbischof Martin Dutzmann, der bayerische Landesbischof Johannes Friedrich sowie der rheinische Präses Nikolaus Schneider unmissverständlich hinter ihre Amtsschwester gestellt. Schneider, der auch stellvertretender EKD-Ratschef ist, verlangte ein "realistisches Ausstiegsszenario" und wandte sich wie Käßmann gegen einen raschen Abzug. Er bat zugleich um Unterstützung seitens der katholischen Kirche.

Wer hat wen eingeladen?

In die Harmonie des Berliner Treffens von Käßmann und zu Guttenberg streute sich eine kleine Irritation: Wer hat nun eigentlich wen zum Besuch in Afghanistan ermuntert? Laut Ministerium ging die Initiative von dem bayerischen CSU-Mann aus - wir zeigen der Bischöfin mal, worum es hier geht, könnte dann das Motto lauten, das sich der Öffentlichkeit einprägt. Käßmann wiederum betonte bei "Beckmann", sie sei bereits in der vergangenen Woche von der EKD-Militärseelsorge zu einem Gottesdienst in Afghanistan eingeladen worden. Guttenberg habe in dem Gespräch angeboten, sie zu begleiten.

Unterstützung findet die Bischöfin unterdessen bei den Grünen. "Wir fühlen uns berührt von Ihrem Appell an Hoffnung, Zuversicht und Mut in unserer Welt, in der jeden Tag die Würde und die Rechte von Menschen in drastischer Art und Weise verletzt werden", heißt es in einem offenen Brief an die Bischöfin, der am Montag in Hannover verbreitet wurde. Unterzeichnet ist er von 72 Mitgliedern und Sympathisanten der Grünen, unter ihnen viele Abgeordnete von Bundestag, Landtagen und des Europäischen Parlaments. Der Wortlaut des Schreibens ist im Internet zugänglich.

mit Material von epd und dpa

Bernd Buchner ist Redakteur bei evangelisch.de und zuständig für die Ressorts Religion und Umwelt.