Ihr Name ist untrennbar mit dem Anne Franks verbunden, die sich mit ihrer Familie in einem Amsterdamer Hinterhaus vor den Nazis versteckte und 1945 in Bergen-Belsen ermordet wurde. In ihrem Tagebuch beschrieb das jüdische Mädchen Anne ihren Alltag im Versteck. Miep Gies versorgte die Familie Frank in dieser Zeit, und sie war es auch, die Anne Franks Tagebuch für die Nachwelt rettete.
"Wir standen auf der gleichen Seite"
Geboren wird sie 1909 in Wien als Hermine Santrouschitz. Kurz nach dem Ersten Weltkrieg kommt sie mit einem Hilfsprojekt für hungernde österreichische Arbeiterkinder in die Niederlande zu einer Pflegefamilie und erhält dort den Spitznamen "Miep". Ursprünglich soll sie nur ein paar Monate aufgepäppelt werden, doch sie fühlt sich in Amsterdam so heimisch, dass sie für immer bleibt.
Im Herbst 1933 wird sie von Otto Frank, Anne Franks Vater, als Bürohilfe in seiner Firma Opekta eingestellt. Schnell wird die nur 1,50 Meter kleine Frau mit dem dunkelblond gewellten Haar zum guten Geist des Büros. Zusammen mit ihrem Verlobten Jan Gies freundet sie sich immer mehr mit dem Ehepaar Frank und den beiden Töchtern Margot und Anne an. Oft diskutieren sie über die Ereignisse in Nazi-Deutschland. "Wir standen auf der gleichen Seite", beschreibt Miep das Verhältnis in ihrem Buch "Meine Zeit mit Anne Frank".
Miep und Jan heiraten am 16. Juli 1941. Kurz zuvor hatte sich die selbstbewusste junge Frau geweigert, in den holländischen Ableger der NS-Frauenschaft einzutreten. Daraufhin war ihr österreichischer Pass eingezogen und sie zum Verlassen des Landes aufgefordert worden. Durch ihre Ehe erhält sie die holländische Staatsbürgerschaft und darf im Land bleiben.
Miep Gies wird zum Bindeglied zur Außenwelt
Nach der Besetzung Hollands durch die Nazis war das Leben ab 1940 für die jüdische Bevölkerung immer unerträglicher geworden. Juden wurden verhaftet und deportiert. Im Frühjahr 1942 eröffnet Otto Frank seiner Angestellten, dass die Familie zusammen mit einem befreundeten Ehepaar und dessen Sohn untertauchen und sich im Hinterhaus der Firma verstecken wolle. Auf die Frage, ob sie helfen werde, antwortet Miep mit einem Wort: "Selbstverständlich". "Ich stellte keine Fragen", erinnert sie sich später. "Ich hatte mein Wort gegeben."
Gemeinsam mit wenigen anderen Eingeweihten versorgen Miep und Jan Gies rund zwei Jahre lang die acht Untergetauchten in dem Versteck. Mit ihrer Kollegin Bep Voskuijl ist Miep für die Verpflegung verantwortlich. Im ihrem Tagebuch schreibt Anne Frank am 11. Juli 1943: "Miep schleppt sich ab wie ein Packesel. Fast jeden Tag treibt sie irgendwo Gemüse auf und bringt es in großen Einkaufstaschen auf dem Fahrrad mit."
Miep wird zum Bindeglied zur Außenwelt. Später wird man sie "Schutzengel, Ernährerin und Trösterin" der Untergetauchten nennen. Sie bereitet Überraschungen zu den Geburtstagen vor, kauft Schuhe für Anne, bringt Kuchen mit, führt lange Gespräche mit Edith Frank. Und kümmert sich noch um einen weiteren Verfolgten des Nazi-Regimes: Im Frühjahr 1943 nimmt das Ehepaar Gies bei sich zu Hause noch einen untergetauchten Studenten auf.
"So vieles war verloren. Anne Stimme aber würde nie verloren gehen"
Als am 4. August 1944 alle im Hinterhaus Versteckten und zwei der Helfer verhaftet werden, bleibt Miep durch einen Zufall verschont. Der kommandierende SS-Mann stammt wie sie aus Wien und lässt sie unbehelligt. Ein paar Stunden nach der Razzia wagen sich Miep und Bep in das Versteck und finden überall verstreut Annes Aufzeichnungen: Tagebücher, Hefte und lose Blätter. Sie sammeln alles auf, und Miep legt die Aufzeichnungen in ihre Schreibtischschublade. Lesen will sie sie nicht. "Das wäre nicht recht", sagt sie. "Es gehört Anne, es ist ihr Geheimnis."
Nur Annes Vater überlebt die Konzentrationslager der Nazis. Als er die Nachricht vom Tod seiner beiden Töchter erhält, übergibt ihm Miep die Blätter: "Hier ist das Vermächtnis Ihrer Tochter Anne." Otto Frank ist inzwischen zu dem Ehepaar gezogen und bietet seinen Helfern das "Du" an. "Wir sind doch jetzt eine Familie", sagt er zu Miep. Er lebt noch bei ihnen, als Miep 1950 mit 41 Jahren ihren einzigen Sohn Paul bekommt.
Als das Tagebuch von Anne Frank 1947 zum ersten Mal veröffentlicht wird, hat Miep Gies es noch immer nicht gelesen: "Ich wollte die alten Wunden nicht wieder aufreißen." Als sie sich schließlich dazu durchringt, ist sie wider Erwarten erleichtert. "Nach dem letzten Wort spürte ich nicht den Schmerz, den ich erwartet hatte. Meine innere Leere schien mir jetzt überwindbar. So vieles war verloren. Annes Stimme aber würde nie mehr verloren gehen."