Tod im Gefängnis: BGH hebt Freispruch für Polizisten auf
Fünf Jahre ist es her, dass Oury Jalloh bei einem Brand in einer Dessauer Haftzelle qualvoll an einem Hitzeschock starb - auf einer Pritsche an allen Gliedmaßen fixiert, ohne eine Chance, sich allein zu retten. Das Feuer soll der Afrikaner aber selbst ausgelöst haben.

Fünf Jahre dauern die Versuche, Licht ins Dunkel der Geschehnisse an jenem 7. Januar 2005 zu bringen. Just an diesem Donnerstag, wenn sich Jallohs Todestag jährt, hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Neuauflage des Verfahrens angeordnet. "Es drängen sich mehrere Fragen auf, die neu verhandelt werden müssen", sagte die Vorsitzende Richterin Ingeborg Tepperwien. Damit hoben die Richter am Donnerstag den Freispruch des Landgerichts Dessau-Roßlau für einen Beamten auf, der am Todestag Dienstgruppenleiter im Polizeirevier war.

Bereits bei der mündlichen Verhandlung im Dezember hatten die Bundesrichter erhebliche Zweifel an dem Dessauer Urteil erkennen lassen. Die Staatsanwaltschaft hatte dem Polizisten Körperverletzung mit Todesfolge vorgeworfen. Aus ihrer Sicht hatte er nicht schnell genug auf das Signal des Feuermelders in Jallohs Zelle reagiert. Deshalb habe sich der damals freigesprochene Polizeibeamte nicht "pflichtgemäß verhalten", befand der Bundesgerichtshof. Auch seien die näheren Umstände, wie der Asylbewerber überhaupt den Brand habe selbst legen können, nicht eindeutig nachgestellt worden.

"Ich hätte die Richterin für jeden Satz umarmen können"

In Dessau-Roßlau erinnerten am Donnerstagmorgen insgesamt rund 75 Menschen an den Brandtod Jalloh. Neben einer Gedenkfeier mit Oberbürgermeister Klemens Koschig (parteilos) an der Dessauer Friedensglocke legten nach Polizeiangaben rund 15 Menschen einen Kranz am Eingang des Polizeireviers nieder, in dem Jalloh starb. Für den Nachmittag hat eine Gedenk-Initiative von Deutschen und Afrikanern eine Demonstration durch Dessau geplant.

Mit Erleichterung reagierten Freunde und Angehörige von Jalloh. "Es ist ein gerechtes Urteil heute, ich hätte die Richterin für jeden Satz umarmen können", sagte der Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, Yonas Endrias.

Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Hövelmann (SPD) sagte, die Wiederholung des Strafprozesses sei eine Möglichkeit, zu einer vollständigen juristischen Aufarbeitung des Todes des Afrikaners Oury Jalloh zu kommen. Die Organisation Pro Asyl begrüßte das Urteil. Mit der Entscheidung verbinde sich die Hoffnung auf eine späte Aufklärung des Falles, erklärte die Organisation am Donnerstag in Frankfurt am Main. Fünf Jahre nach dem Brandtod Jallohs werde es allerdings nicht leichter werden, die Todesumstände aufzuklären.  

"Wichtig für Gerechtigkeitsempfinden von Migranten"

Die Integrationsbeauftragte des Landes, Susi Möbbeck, sagte dem epd, die Neuauflage des Prozesses sei auch wichtig für das Gerechtigkeitsempfinden der Migranten und deren Vertrauen in Justiz und Polizei. Der bisherige Verlauf der Aufklärung habe dieses Vertrauen beeinträchtigt. Der anhaltische Kirchenpräsident Joachim Liebig unterstrich, über Schuld oder Unschuld könne nur dann abschließend befunden werden, wenn das "schreckliche Ereignis" auch lückenlos aufgeklärt werde.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) bezweifelt dagegen den Sinn einer erneuten Beweisaufnahme. Er sehe keinen Weg, wie der Forderung nach einer weiteren Aufklärung entsprochen werden könne, sagte der GdP-Landesvorsitzende von Sachsen-Anhalt, Uwe Petermann, dem epd. In den rund 60 Verhandlungstagen habe das Landgericht Dessau-Roßlau bereits alles getan, um sämtliche verfügbaren Fakten aufzuarbeiten.

"Organisierte Verantwortungslosigkeit" auf Polizeirevier

Bereits vor der Urteilsverkündung hatte die Internationale Liga für Menschenrechte erklärt: "Das in Dessau gescheiterte Strafverfahren und der Freispruch dürfen nicht das letzte Wort dieser Tragödie sein." Die Aufklärung der "organisierten Verantwortungslosigkeit" auf dem Polizeirevier, die das Verfahren aufgezeigt habe, sei bislang am "Korpsgeist der Polizeizeugen" und an einer Fülle von Ermittlungspannen gescheitert, so Liga-Vizepräsident Rolf Gössner, der den Prozess am Landgericht Dessau-Roßlau verfolgt hatte. Er kam daraufhin zu dem Schluss: Der Verdacht, dass es sich um einen Fall oder ein Zeichen für "institutionellen Rassismus" handele, sei nicht von der Hand zu weisen.

Diese "spezielle Behandlung", Jalloh damals mitzunehmen, um seine Identität zu klären, obwohl er ihnen bekannt war, und seine "totale Fixierung" in der Zelle hätte die Polizei bei einem Nicht-Migranten so nicht vollzogen, betont Gössner. Damit habe sie letztlich selbst die Bedingungen geschaffen, die zu Jallohs Tod führten. Zudem sei die entscheidende Frage ungeklärt geblieben, wer die schwer entflammbare Matratze auf welche Weise entzündet hatte und wie der Brand entstand.

Eine Rettung Jallohs wäre möglich gewesen

Der Bundesgerichtshof wurde von der Staatsanwaltschaft und der Familie des Opfers angerufen, nachdem das Landgericht den damaligen Dienstgruppenleiter Andreas S. im Dezember 2008 freigesprochen hatte. Der Freispruch für einen zweiten Beamten ist rechtskräftig. Eine Rettung Jallohs wäre laut Anklageschrift möglich gewesen, wenn die Polizisten rechtzeitig und richtig reagiert hätten. Der Vorwurf lautete Körperverletzung mit Todesfolge sowie fahrlässige Tötung. Als eine Konsequenz aus dem Tod Jallohs wurden inzwischen die Gewahrsamsordnung in Sachsen-Anhalt geändert und Zellen geschlossen.

In dem ersten Prozess hatte das Landgericht mehr als 60 Zeugen sowie medizinische Gutachter und Brandsachverständige befragt. Die Hauptverhandlung hatte erst im März 2007 nach über zwei Jahren Verzögerung und immer wieder neuen "Nachermittlungen" begonnen. 

epd