"Käpt’n Abu Raed", Mittwoch, 6. Januar, 1.00 Uhr im Ersten
Der Sendeplatz ist absurd: Wenn die ARD wunderbare Filme wie diesen ohnehin erst nach Mitternacht zeigt, könnte sie sich das Geld auch sparen. Das Werk ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie sehr eine denkbar schlichte Geschichte zu Herzen gehen kann. Gemäß der vermutlich auch in Jordanien verbreiteten Erkenntnis "Kleider machen Leute" beginnt die Handlung mit dem Fund einer Pilotenmütze. Der alte Abu Raed (Nadim Sawalha) verdient seinen Lebensunterhalt als Reinigungskraft am Flughafen. Mit der Mütze auf dem Kopf halten ihn die Kinder aus der Nachbarschaft für einen Flugzeugkapitän und beschwören ihn, von seinen Abenteuern zu berichten. Abu Raed wiegelt zwar ab, aber da er das Wissen aus zweitausend Büchern in sich trägt, kann er stundenlang erzählen.
Geschickt verknüpft der am American Film Institute in Los Angeles ausgebildete Jordanier Amin Matalqa Raeds Erzählungen immer wieder mit zwei Seitensträngen. Nebenebene Nummer eins bereichert den Film um ein komödiantisches Element: Die schöne Pilotin Nour (die in Jordanien sehr populäre TV-Moderatorin Rana Sultan) ist zum Leidwesen ihres Vater stets eigene Wege gegangen; seine Versuche, die stolze Tochter doch noch unter die Haube zu bringen, scheitern auf immer groteskere Weise. Seitenstrang Nummer zwei ist weniger witzig: In Abu Raeds Nachbarschaft lebt der kleine Murad, dessen Vater seine trunkene Wut regelmäßig an Frau und Kindern auslässt. Nour hilft dem Putzmann, die Familie in Sicherheit zu bringen, doch erst eine große selbstlose Tat Abu Raeds löst das Problem.
"Captain Abu Raed" (wie der Kinotitel lautet) ist der erste jordanische Spielfilm, der nach einer Vielzahl erfolgreicher Festivalteilnahmen auch außerhalb des Landes in die Kinos kam. Dank der Bildgestaltung des deutschen Kameramannes Reinhart Peschke und der vortrefflichen Darsteller hat Matalqa einen in jeder Hinsicht ausgezeichneten Debütfilm inszeniert. Neben den bemerkenswert gut geführten Kindern ragt vor allem die Leistung des in London lebenden Nadim Sawalha heraus, zumal er den verwitweten Captain nicht mal im Ansatz als wunderlichen alten Knacker verkörpert. Mit der Verpflichtung von Rana Sultan, einer Schönheit zwischen Sandra Bullock und der jungen Sophia Loren, ist Matalqa zudem ein echter Coup gelungen. Und dann ist da noch die vortreffliche Musik des Amerikaners Austin Wintory, die "Captain Abu Raed" auch akustisch den letzten Schliff gibt.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und die "Frankfurter Rundschau" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).