Das Christentum profiliert im Alltag leben
Der Süddeutsche Gemeinschaftsverband versteht sich als Ergänzung zu den evangelischen Kirchengemeinden. Vor genau 100 Jahren, am 6. Januar 1910, wurde der pietistische Zusammenschluss in Calw im Nordschwarzwald gegründet.
04.01.2010
Von Marcus Mockler

Von seinen Ursprüngen her ist der Pietismus eine Erneuerungsbewegung innerhalb der evangelischen Kirche. Doch da auch eine Erneuerungsbewegung im Laufe der Jahrhunderte zu verkrusten droht, braucht sie hin und wieder selbst einen Erneuerungsimpuls. Für den sorgte in Württemberg vor 100 Jahren der Süddeutsche Gemeinschaftsverband.

Im englischen Sprachraum hatten sich vielerorts Gruppen und Vereinigungen gebildet, deren Hauptziele praktiziertes Christentum im Alltag sowie die Gewinnung der Mitmenschen für den christlichen Glauben war. Das weckte im ohnehin stark pietistisch geprägten Württemberg und an seinen Rändern Interesse. Hausversammlungen entstanden, Gemeinschaftsbibelstunden, Gebetskreise.

"Brüderrat" an der Spitze

Um diese Kräfte zu bündeln und sie innerhalb der Landeskirche zu halten, formierte sich vor 100 Jahren der neue Verband unter dem Namen "Süddeutsche Vereinigung für Evangelisation und Gemeinschaftspflege". Er installierte einen "Brüderrat" unter dem Direktor der Liebenzeller Mission, Pfarrer Heinrich Coerper (1863-1936).

Ein Jahrhundert später zählen sich rund 200 Gemeinschaften zu dem Verband, der mit Gottesdiensten, Kinder- und Jugendstunden wöchentlich rund 8.000 Menschen erreicht. Traditionell verstehen sich Gemeinschaften als Ergänzung zu örtlichen Kirchengemeinden. Doch das geistliche Leben dieser Gemeinden scheint den "Süddeutschen" mancherorts zu schwach. Deshalb bauen sie vereinzelt Gemeinschaften zu eigenständigen Gemeinden aus, in denen getauft und das Abendmahl gefeiert wird. Das geschieht in Abstimmung mit der Evangelischen Landeskirche in Württemberg.

Als Konkurrenz empfunden

In Schwäbisch Hall, Reutlingen und Esslingen gibt es bereits solche selbstständigen Gemeinschaftsgemeinden, weitere sind in Sindelfingen und Herrenberg geplant. Vor Ort wird das bisweilen von Pfarrerskollegen und Dekanen als Konkurrenz verstanden. Dietmar Kamlah, hauptamtlicher Vorsitzender des Süddeutschen Gemeinschaftsverbandes, kann das nicht verstehen. Schon aus missionarischen Gründen brauche man heute mehr Angebote, als eine einzelne Kirchengemeinde bieten könne.

Das sehe auch die Evangelische Kirche in Deutschland so, betont Kamlah. Ihr Zukunftspapier "Kirche der Freiheit" werbe sogar dafür, dass bis zum Jahr 2030 jede vierte Gemeinde eine sogenannte Profilgemeinde ist, die sich nicht an den Grenzen eines Gemeindebezirks (Parochie) orientiert, sondern an einer bestimmten inhaltlichen Prägung - sei diese nun an pietistischer Frömmigkeit, kulturell oder eher sozial ausgerichtet.

Freilich ist das Band der Einheit manchmal auch innerhalb des Pietismus alles andere als reißfest. Im Streit um die Finanzierung des Verbandes kehrte sich Pfarrer Coerper, der Gründervater der "Süddeutschen", 1932 ab und trat mit einigen Predigern, Schwester und 57 Gemeinschaften aus. Daraus entstand 1933 der Liebenzeller Gemeinschaftsverband. Der Umgang der beiden Verbände ist zwar heute sehr versöhnlich, ein neuerlicher Versuch zur Fusion scheiterte aber vor wenigen Jahren.

epd