Cyber-Stalking: Totale Kontrolle per Internet und Handy
Es begann wundervoll. Eine 17-jährige Medizinisch-Technische Assistentin, nennen wir sie Heike, und ein 20-jähriger Informatikstudent, in diesem Bericht Christian, waren ineinander verliebt. Allerdings wollte er, dass sie ihre Freunde nicht mehr sah. Wenn Heike ihre Clique an wechselnden Orten doch heimlich traf, war Christian merkwürdigerweise immer da. Er mied jeden Kontakt und beobachtete sie scharf. Für Heike war dann der Abend gelaufen.
04.01.2010
Von Jens Bayer-Gimm

Heike fühlte sich bald unter ständiger Beobachtung, wie Angela Wagner berichtet, Beraterin des Frauennotrufs Frankfurt am Main. Sie sei zunehmend unsicher geworden und habe sich wie gelähmt gefühlt. Die Leistungen in der Ausbildung seien schlechter geworden. Doch von ihrem Freund habe sie sich nicht trennen wollen.

Leichter Fall von "digitaler Gewalt" 

Da ertappt die junge Frau Christian dabei, wie er in ihrem Handy die SMS-Nachrichten überprüft. Sie entdeckt weiter, dass er in ihrem E-Mail-Postfach heimlich eine Weiterleitung ihrer persönlichen Mitteilungen auf seinen Computer eingerichtet hat. Heike schützt ihr Handy und ihren Computer durch Passwörter, doch Christian durchkreuzt weiterhin ihre Treffen mit den Freunden. Sie stellt fest, dass er heimlich auf ihrem Handy einen Ortungsdienst aktiviert hat und so ihre Schritte auf dem PC und Smartphone verfolgt. Endlich beendet Heike die Beziehung.

Der Fall sei typisch für leichtere Fälle von "digitaler Gewalt", sagt Beraterin Wagner. Junge Frauen legten häufig bedenkenlos ihre Passwörter für PC und Handy ihrem Freund offen. Doch die technischen Möglichkeiten ermöglichten eine totale Kontrolle.

Cyber-Stalking nimmt zu 

Mit wenigen Mausklicks kann man im Internet Dienste finden, die gelöschte Computertexte wieder sichtbar machen, SMS-Mitteilungen weiterleiten, Anrufe mitschneiden oder die Kontakt- und Anruferliste eines Handys kopieren. Außerdem lässt sich ein Handy über das Telekommunikationsunternehmen oder direkt über den GPS-Sender im Smartphone orten. Eine zuvor installierte Webcam lässt sich von einem Handy aus steuern.

Das Cyber-Stalking, also das rücksichtslose Nachstellen mit Hilfe von Internet, Handys und Smartphones, macht mittlerweile 40 Prozent aller Stalking-Delikte aus - Tendenz steigend, berichtet die Expertin für Internetkriminalität des Polizeipräsidiums Frankfurt am Main, Birgit Roth. Viele Stalker überschütten ihre Opfer auch mit einer Flut von SMS-Mitteilungen, leiten per Internet persönliche Daten an Dritte weiter, verbreiten Lügen, Gerüchte, intime oder manipulierte Fotos im Netz.

Andere tragen Adressen und Fotos auf Pornoseiten ein, bestellen Waren im Namen des Opfers, beleidigen Dritte oder begehen Internet-Straftaten im Namen des Opfers - alles bequem vom heimischen Sessel aus, ohne jemandem ins Gesicht sehen zu müssen.

Vielfältige Auswirkungen und hohes Strafmaß

Die Opfer des Cyber-Stalkings sind nach Recherchen von Roth zu 86 Prozent Frauen. Die Auswirkungen sind vielfältig: Angstzustände, Depressionen bis hin zu suizidalen Gedanken. Wer von "digitaler Gewalt" betroffen sei, habe das Gefühl, der Welt nicht mehr vertrauen zu können, sagt auch Beraterin Angela Wagner. War der Täter ein Freund, könnte man sich nur schwer wieder auf eine Freundschaft einlassen. Besonders Jugendliche isolierten sich extrem.

Das Stalking und weitere Delikte der "digitalen Gewalt" können mit Strafen bis zu mehreren Jahren Gefängnis geahndet werden. Die Fachleute des Polizeipräsidiums Frankfurt empfehlen, den Betreiber einer Internetseite, auf der die strittigen Texte oder Bilder stehen, mittels Impressum oder der Registrierungsstelle "www.denic.de" ausfindig zu machen. Dann sollte der Verantwortliche zur Entfernung der Beiträge oder Fotos aufgefordert werden. Bei Problemen helfe der Datenschutzbeauftragte des Landes.

Opfer können sich zur Wehr setzen

Außerdem sollten die Betreiber von Suchmaschinen zur Löschung der Inhalte aufgefordert werden. Die Experten empfehlen den Opfern zudem, Belästigungen in einem Tagebuch für das Gericht zu dokumentieren und einen Rechtsanwalt einzuschalten. Inzwischen bieten Firmen, sogenannte "Reputation Defender", kostenpflichtig an, Rufschädigungen in den Verästelungen des Internets zu beseitigen.

"Die Folgen von digitaler Gewalt sind massiv", warnt Beraterin Wagner. "Das Internet macht sie ewig und grenzenlos." Die Opfer fühlten sich meist ohnmächtig und glaubten, ihrem Täter hilflos ausgeliefert zu sein.

Doch wenn sie sich nicht zur Wehr setzten, werde der Täter sie weiter drangsalieren, sagt Wagner. "Betroffene müssen mit einer Vertrauensperson darüber reden." Die könne auch den Kontakt zu einer Beratungsstelle herstellen, wo anonym Hilfe zu bekommen sei. Wagner macht Mut: "Man kann eigentlich immer etwas gegen digitale Gewalt ausrichten."

epd