China tötet das Huhn, aber die Affen erschrecken nicht
Die drakonische Strafe für den chinesischen Bürgerrechtler Liu Xiaobo ist eine eiskalte Warnung an alle Kritiker des kommunistischen Systems. "Das Huhn töten, um den Affen zu erschrecken" (shaji geihoukan) heißt diese Methode in China. Die Botschaft ist unmissverständlich: an der Macht der Kommunistischen Partei darf nicht gerüttelt werden. Das harsche Urteil von elf Jahren Gefängnis ist gleichzeitig eine trotzige und brüske Zurückweisung der Forderungen Deutschlands und anderer europäischer Staaten sowie der USA, den 53-jährigen Autor sofort auf freien Fuß zu setzen.

"Ich fühle nichts mehr", sagte Liu Xiaobos Frau Liu Xia direkt nach der Urteilsverkündung ebenso erschöpft wie gefasst. Die tapfere Dissidentenfrau hatte schon eine hohe Strafe befürchtet. Nur ein paar Minuten erlaubte ihr der Richter, hinterher im Gerichtssaal mit ihrem Mann zu sprechen. "Wir lächelten uns an, sprachen über unsere Familie und Freunde", sagte Liu Xia der Deutschen Presse-Agentur dpa. "Wir konnten uns nur gegenseitig Glück wünschen für das Leben, das uns jetzt bevorsteht." Elf Jahre - kein anderer Bürgerrechtler musste bisher wegen "Subversion" so lange hinter Gitter.

Freunde, Intellektuelle und Mitstreiter sind geschockt. "Mit dem Urteil verkündet die Kommunistische Partei der Welt und dem Volk, dass sie all ihre Macht nutzen wird, um ihre Einparteien-Herrschaft zu sichern, statt Reformen einzuleiten", sagte die pensionierte Professorin Ding Zilin, die an der Spitze des Netzwerkes von Familien der Opfer der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung von 1989 steht. "Es war ein irrwitziger Prozess, der dem Land die rechtsstaatliche Maske vom Gesicht gerissen hat."

Die Volksrepublik wird nicht vom Volk regiert

"Vor 20 Jahren haben sie Waffen benutzt; die Armee tötete wahllos Menschen", sagte die 73-Jährige, deren 17-jähriger Sohn 1989 erschossen wurde. "Heute, 20 Jahre später trauen sie sich nicht mehr, Menschen zu töten, lassen aber die Polizei wahllos Menschen festnehmen." Der mutige Liu Xiaobo und die "Charta 08" für Demokratie und Menschenrechte in China haben für Ding Zilin den Geist von 1989 wiedererweckt - den Traum der Chinesen, die ein besseres, ehrliches und freiheitliches China schaffen wollten.

"In einer Volksrepublik sollte die Macht vom Volke ausgehen, aber die Situation in China ist heute so, dass alle Macht der Partei gehört", kritisierte Bao Tong, ehemaliger Mitarbeiter des 1989 gestürzten Parteichefs Zhao Ziyang und einer der ersten Unterzeichner der "Charta 08". Nicht Leute wie Liu Xiaobo, sondern vielmehr die kommunistischen Führer hätten sich in der Geschichte des Landes der Subversion schuldig gemacht, findet der 77-Jährige. "Die 'Charta 08' soll China nicht untergraben, sondern das Land retten."

"Das Volk ist zur Geisel geworden"

"Seit die Kommunistische Partei die Macht übernommen hat, sorgen sich Generationen von KP-Diktatoren am meisten um ihre eigene Macht und am wenigsten um das menschliche Leben", schrieb Liu Xiaobo in einem der sechs Aufsätze, die ihm das Gericht jetzt neben der "Charta 08" als Anstachelung zum Regierungsumsturz anlastet. Chinas Führer verordneten dem Land Patriotismus, um von den Katastrophen und dem Leid abzulenken, die sie über Nation und Volk gebracht hätten, klagte Liu Xiaobo. Das Volk sei zur Geisel geworden.

Auf dem Weg ins Gefängnis hinterlässt Liu Xiaobo seinen Landsleuten aber auch noch folgende Weisheit: "Der Mensch ist frei und gleich geboren. Versklavung weltweit und Ungleichheit liegen niemals daran, dass die Herrschenden zu mächtig oder großartig sind, sondern daran, dass die Beherrschten sich beugen."

dpa