Hart erkämpftes Weihnachtsgeschenk für Obama
Es kam nicht vom Christkind, und auch nicht von Santa Claus: Der Senat in Washington war es, der US-Präsident Barack Obama sein wohl liebstes Weihnachtsgeschenk brachte. Bei einer ungewöhnlichen Sitzung, die wegen der Verzögerungstaktiken der republikanischen Opposition um sieben Uhr früh am Heiligabend stattfand, stimmte eine Mehrheit von 58 demokratischen und zwei unabhängigen Senatoren für ein weitreichendes Gesetz zur Gesundheitsreform.

Seit Monaten kämpft Obama für das Ziel, allen Amerikanern eine bezahlbare Krankenversicherung zu ermöglichen. Nun sprach der US-Präsident von einem historischen Schritt, zog sogar Vergleiche zur Einführung der staatlichen Rentenversicherung 1935. Nach dem Senatsbeschluss zeigt sich Obama stolz, da die Gesundheitsreform, die er schon im Wahlkampf versprach, "unglaublich nahe" sei. Die Versicherungsbranche habe doch Hunderte Millionen Dollar ausgegeben, um sie zu verhindern. 

Doch Widerstand bleibt. 39 republikanische Senatoren votierten gegen das Reformpaket. Das Vorhaben sei zu teuer und gebe dem Staat zu viel Macht über das Gesundheitswesen, sagen sie.

Wenn die Reform einmal in Kraft tritt, erhalten 31 Millionen Amerikaner eine Krankenversicherung. Ausgeschlossen bleiben freilich die rund zwölf Millionen Einwanderer, die illegal in den USA leben. Derzeit sind mehr als 46 Millionen der rund 300 Millionen Einwohner der Vereinigten Staaten ohne Versicherungsschutz. Einer Studie von Wissenschaftlern der Harvard University zufolge sterben jedes Jahr 45.000 US-Bürger früher, weil sie nicht krankenversichert sind.

Schon seit 100 Jahren versuchen Präsidenten diese Reform

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Es ist wahrlich ein langer Weg: Bemühungen um eine umfassende Gesundheitsreform laufen in den USA seit fast hundert Jahren. Theodore Roosevelt, Präsident von 1901 bis 1909, forderte 1912 im Wahlkampf eine nationale Krankenversicherung. Die Initiative zerfiel im Ersten Weltkrieg. Präsident Harry Truman (1945-53) setzte sich ebenfalls für eine nationale Krankenversicherung ein. Er scheiterte am Protest des Amerikanischen Ärzteverbandes gegen eine "sozialisierte Medizin". Bill Clinton (1993-2001) entwarf Gesetze für eine marktwirtschaftlich orientierte Krankenversicherung, unterlag aber im Kongress.

So gleicht das Gesundheitswesen der USA gegenwärtig einem Flickenteppich mit großen Löchern: Eine gesetzliche Krankenversicherung gibt es nicht, die Bürger sind auf private Firmen angewiesen. Für Senioren gibt es immerhin die staatliche Versicherung "Medicare" und für Einkommensschwache "Medicaid". Besonders schlecht stehen Angehörige der unteren Mittelschicht da: Sie verdienen zu viel, um von "Medicaid" aufgenommen zu werden, aber zu wenig, um selbst eine Versicherung abschließen zu können.

Nach dem Reformentwurf, den der Senat beschlossen hat, müssten alle US-Amerikaner eine Krankenversicherung abschließen. Die Reform will Einkommensschwachen finanziell helfen und "Medicaid" ausweiten. Und Versicherungsfirmen dürfen Kranke in Zukunft dann nicht mehr diskriminieren. Bisher konnten Versicherungen Antragsteller wegen bereits bestehender Gesundheitsprobleme ablehnen, nicht für die Behandlung der schon vorher aufgetretenen Krankheiten zahlen, und Versicherte fallenlassen, wenn die Behandlung zu teuer wird.

Jetzt geht es um die Finanzierung - und das kann Wochen dauern

Die Reform enthält auch Maßnahmen zur Kostenkontrolle. Denn die Gesundheitsausgaben pro Kopf sind in den USA wesentlich höher als in Europa. Kritiker in den Reihen der Ärzte verweisen auf hohe Verwaltungskosten und dicke Gewinnmargen bei den privaten Krankenversicherungen. Die Gründung einer staatlichen Versicherung wurde unter Obama aber nie ernsthaft diskutiert.

Das Repräsentantenhaus, die zweite Kammer des Kongresses, hatte bereits im November eine Gesundheitsreform beschlossen. Sie deckt sich in vielen Punkten mit dem Senatsentwurf, sieht aber eine begrenzte staatliche Krankenkasse vor - als Alternative zu den kommerziellen Versicherungsfirmen.

Noch nicht einig sind sich die beiden Kammern auch bei Finanzfragen. Soll die Reform über Steuererhöhrungen für die obersten Einkommensgruppen, Gebühren für die Versicherungsbranche oder eine Besteuerung besonders teurer Policen bezahlt werden? Vermutlich wird es Wochen dauern, bis beide Kammern des Kongresses ihre Entwürfe angeglichen haben. Erst dann kann das Gesetz von Obama unterzeichnet werden und in Kraft treten.

epd