Chinesischer Dissident wegen Demokratie-Manifest vor Gericht
"Untergrabung der Staatsgewalt" lautet die Anklage: In China steht jetzt Liu Xiaobo vor Gericht, der Hauptinitiator der "Charta 08" für mehr Demokratie. Ihm drohen bis zu 15 Jahre Haft.

Dem chinesischen Dissidenten Liu Xiaobo (53) ist am Mittwoch in Peking der Prozess gemacht worden. Die Anklage warf dem Ehrenpräsidenten des unabhängigen Schriftstellerverbandes PEN "Untergrabung der Staatsgewalt" vor. Liu ist Hauptinitiator der vor einem Jahr veröffentlichten "Charta 08" für Demokratie (hier in deutscher Übersetzung), die inzwischen von mehr als 10.000 Menschen unterstützt wurde. Ihm drohen bis zu 15 Jahre Haft.

Der Literaturkritiker gilt als einflussreichster Dissident in China. Er ist seit 8. Dezember 2008 inhaftiert. Für seine Freilassung setzen sich unter anderem die USA und die EU ein. Das Urteil wird für Freitag erwartet.

Verhandlung hinter verschlossenen Türen

Die Anklage zitierte in dem Prozess mehrere Artikel, die Liu in den vergangenen Jahren im Internet veröffentlicht hatte, und brachte seine Autorenschaft an der "Charta 08" vor. Das im Dezember 2008 online in China verbreitete Dokument fordert Meinungs- und Religionsfreiheit, eine unabhängige Justiz und freie Wahlen. Die Initiatoren sehen es in der Tradition von Freiheitsmanifesten wie der Prager "Charta 77".

Das dreistündige Verfahren fand weitgehend hinter verschlossenen Türen statt: Ein großes Polizei-Aufgebot versperrte den Zugang zum Mittleren Gerichtshof Nr. 1 im Westen Pekings. Ausländische Diplomaten und Journalisten wurden nicht zugelassen.

Vor dem Gerichtsgebäude versammelte sich eine kleine Gruppe von Unterstützern Lius. Der Künstler Ai Weiwei nahm im stummen Protest teil, ebenso ein Mitglied der "Mütter vom Tiananmen", deren Angehörige beim Tiananmen-Massaker 1989 ums Leben gekommen waren. Liu hatte sich vor 20 Jahren an der Demokratiebewegung auf dem Tiananmen-Platz in Peking beteiligt. Nach deren Niederschlagung war er ohne Prozess 18 Monate lang in Haft.

Polizei fotografiert Demonstranten

Mehrere Unterzeichner der "Charta 08" erklärten vor dem Gerichtsgebäude, sie seien "in Solidarität mit Liu Xiaobo" erschienen. Junge Internet-Aktivisten riefen "Freiheit für Liu Xiaobo" und verteilten gelbe Schleifen zum Zeichen ihrer Verbundenheit mit dem Angeklagten. Polizisten in Uniform und Zivil filmten und fotografierten das Geschehen.

Der amerikanische Diplomat Greg May verlas eine Erklärung, in der er die sofortige Freilassung Lius verlangte, da er sich für die Einhaltung universeller Menschenrechte eingesetzt habe. Die Ehefrau des Angeklagten und mehrere prominente Unterzeichner der "Charta 08" waren von der Polizei daran gehindert worden, ihre Wohnungen zu verlassen.

epd