Aus dem Maschinenraum (14): Just Simplify!
Alles so schön bunt hier - und lenkt auch viel ab. Zwar haben neue Rechner heutzutage eine Menge Möglichkeiten, doch viele Nutzer beginnen damit, ihre Computer mittels Zusatzprogrammen wieder "downzugraden", sprich: auf das Wesentliche zu reduzieren, um nicht zuviel Zeit zu verschwenden.
23.12.2009
Von Michael Stein

Meine ersten journalistischen Texte habe ich 1985 auf einem Commodore C64 und dem Programm "Textomat" geschrieben. An eine Bedienung per Maus oder anklickbare Menüs war damals nicht zu denken. Ob der Nadeldrucker den Text später auf Papier fett drucken würde, das konnte man auf dem Bildschirm nicht so ohne Weiteres sehen. Heute arbeite ich an einem Mac – was wohl so ziemlich das genaue Gegenteil der Arbeitsumgebung von damals ist. Mit so einem modernen Computer lässt es sich derartig intuitiv und komfortabel arbeiten, dass man gelegentlich vergisst, einen Computer vor sich zu haben. Am unteren Bildschirmrand liegen in einer bunten Leiste ("Dock") all die Programme, die ich regelmäßig benutze: Die Textverarbeitung, das Mail-Programm, die Musik-Software und – natürlich – der Internet-Browser. Ein Kollege von mir– er ist Windows-Nutzer – nennt diese Leiste spöttisch "Fisher Price Activity Center", weil sie so schön bunt ist, und weil das jeweilige Icon zu hüpfen beginnt, sobald ich ein Programm starte.

Zeitverschwendung

Das Dock ist nicht nur im Alltag praktisch sondern hält für die Momente, in denen ich ein längeres Manuskript schreiben muss, die zündende Idee aber noch fehlt ("Leeres-Blatt-Syndrom"), jede Menge Spielzeug bereit. Geht's Ihnen auch so? Mein Lieblings-Prokrastinations-Werkzeug ist in solchen Fällen der Internet-Browser. Mit wenigen Mausklicks ist der grausame weiße Bildschirm von bunten Webseiten überlagert. Schon bemerkenswert, wie herrlich man am Computer doch wertvolle Lebenszeit einfach verschwenden kann. Diese Erkenntnis scheint mehr und mehr um sich zu greifen, es sieht schon beinahe nach einem Trend aus. Immer mehr Computer-Nutzer wollen offenbar wieder die kargen, unbunten, internetfreien Arbeitsumgebungen aus den Anfängen der Computerzeit. Sie wollen sich bei der Arbeit auf das Wesentliche konzentrieren, sie wollen die Möglichkeit haben, den Optionsstress – wenigstens zeitweise - auszuschalten.

Asketisch schreiben

So dunkeln zum Beispiel Programme wie "Isolator" oder "Menu Eclipse" bei Bedarf den kompletten Desktop oder die Menüleiste ab, so dass nur noch das eigentliche Programmfenster zu sehen ist. Immer mehr Schreibprogramme kommen auf den Markt, die aus jedem hoch gezüchteten Hightech-Notebook wieder eine einfache Schreibmaschine machen. Sie heißen z. B. "Writeroom" oder "Darkroom" und erzeugen eine Arbeitsumgebung, die schon ziemlich nah an meine von 1985 herankommt: Einfarbige Zeichen sind da auf einem schwarzen Hintergrund zu sehen – das war's. Auch Anleitungen, wie man z. B. Word so einstellt, dass es aussieht wie vor 25 Jahren, kann man im Internet finden.

Freiwillige Selbstkontrolle

Kaum zu glauben, aber für all diejenigen, denen das alles noch nicht ausreicht, gibt es sogar Programme, die in etwa so funktionieren wie eine Kindersicherung, nur eben für Erwachsene. Der Zugang zum Internet oder zu bestimmten Webseiten wird für eine vorher einstellbare Zeit gesperrt. Diese Sperre kann man als Benutzer nicht ohne weiteres umgehen. Derartige Programme gibt es z. B. als Firefox-AddOn ("Self Control") oder Programm. Ist es nicht toll, wie viele Lösungen es inzwischen für all die Probleme mit dem Computer gibt, die man ohne den Computer gar nicht hätte?

Es gibt aber noch eine ganze Reihe weiterer Werkzeuge, die das Problem ganz ohne Computer lösen. Wie wäre es statt mit einem neuen AddOn oder einer Sperrsoftware einfach mit einem kleinen Spaziergang, einer Tasse Kaffee oder Tee? Auch ein Blick in die Bibel könnte dabei helfen, auf ganz andere Gedanken zu kommen. Ich habe mir jedenfalls vorgenommen, das nächste Mal, wenn mich das Leere-Blatt-Syndrom oder die Aufschieberitis befällt, das Notebook einfach zuzuklappen und etwas anderes, auf jeden Fall etwas Sinnvolleres zu tun. Ich bin gespannt, ob es klappt.


Über den Autor:

Michael Stein (Konfirmation 1976) arbeitet seit 1986 als Wissenschaftsjournalist mit Schwerpunkt Technik für Radio, Fernsehen, Print- und Online-Medien. Parallel zum Beruf studiert er seit 2004 in Wuppertal und Bochum Evangelische Theologie, um irgendwann einmal Journalist und Pfarrer zu sein. Für evangelisch.de schreibt er in seiner Kolumne "Maschinenraum" jede Woche über Technik, was wir mit ihr machen -und was sie mit uns macht.