"Die Russen waren besser": Afghanistan 30 Jahre nach Kriegsbeginn
Die stummen Zeugen der sowjetischen Niederlage sind noch vielerorts zu sehen: Am Rand afghanischer Straßen rosten Panzerwracks der Roten Armee vor sich hin, manche dienen Kindern als Spielplatz. Der sowjetische Einmarsch vor 30 Jahren, ab dem 25. Dezember 1979, war Auftakt eines Krieges, der in unterschiedlicher Intensität und mit wechselnden Gegnern bis heute anhält.
22.12.2009
Von Can Merey und Farhad Peikar

Etwas mehr als neun Jahre dauerte es, bis die Soldaten der damaligen Weltmacht geschlagen abzogen. Etwa 1,2 Millionen Afghanen starben während der Besatzung. Trotzdem verklären heute immer mehr Afghanen die Sowjet-Zeit - während die Kritik an den ausländischen Truppen, die seit acht Jahren im Land sind, zunimmt.

Noorul Haq Ulomi aus dem südafghanischen Kandahar ist Vorsitzender des Sicherheitskomitees des Parlaments, unter den Sowjets diente er in der afghanischen Armee als General. Die ausländischen Truppen heute, sagt der Abgeordnete, gäben nur vor, Terrorismus zu bekämpfen. "Sie wollen ihren Einfluss auf unsere Nachbarländer ausdehnen, ob in Richtung Norden zu den zentralasiatischen Staaten, oder in Richtung der westlichen Seite (Iran). Sie machen das unter dem Vorwand, die Wirtschaft und die Demokratie zu fördern." Die Lage unter den Sowjets sei besser gewesen als die heute, meint Ulomi. Und nicht nur der Ex-General äußert sich positiv über die Sowjets.

"Mangel an Respekt vor der Kultur"

Selbst bei manchem früheren Mudschaheddin schneidet die Rote Armee besser ab als die NATO, die im kommenden Jahr erstmals mehr Truppen in Afghanistan stationiert haben wird als die Sowjets: Nach den geplanten Verstärkungen werden knapp 150.000 ausländische Soldaten im Land sein, die Rote Armee brachte es russischen Quellen zufolge auf bis zu 120.000. Anfang 2011 schließlich werden die internationalen Truppen länger in Afghanistan sein, als die sowjetische Besatzung dauerte. Der Analyst und Autor Waheed Muzhda kämpfte gegen die Rote Armee, später war er unter den Taliban Abteilungsleiter im Außenministerium. "Das Verhalten der Russen", sagt er, "war besser als das Verhalten der Amerikaner und anderer Westler."

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So könne sich niemand daran erinnern, dass sowjetische Soldaten während des Dschihads, des Heiligen Krieges, Frauen durchsucht hätten, sagt Muzhda. "Selbst wenn die russischen Panzer zum Kampf in ein Dorf fuhren, verteilten sie (die Soldaten) Süßigkeiten an die Kinder." Die Sowjets hätten die Alten respektiert. "Heute sehen wir davon nichts." Sogar Kinder seien ins US-Gefangenenlager Guantanamo Bay gesperrt worden. Die Russen hätten mehr mit Muslimen kommuniziert als die Truppen heute. "Der Mangel an Respekt vor der Kultur des afghanischen Volkes hat dazu geführt, dass die Unterstützung für die Taliban im Land wieder zugenommen hat."

"Heute ist die Lage gefährlicher"

Immer mehr in Vergessenheit scheint zu geraten, wie brutal die Rote Armee einst vorging. Muzhda beklagt, dass heute Kinder und Frauen bei Militäroperationen getötet würden, und tatsächlich sorgen die zivilen Opfer für zunehmende Wut im Land. Doch unter der sowjetischen Besatzung wurden weitaus mehr Unschuldige getötet. Mit welcher Härte der Konflikt damals ausgetragen wurde, beweisen die Opferzahlen. Wie viele Afghanen - Soldaten, Polizisten, Aufständische und Zivilisten - seit Beginn des Einsatzes Ende 2001 getötet wurden, ist unklar, die Zahl dürfte aber im fünfstelligen Bereich liegen. Unter den Sowjets ließen mehr als eine Million Afghanen ihr Leben.

Knapp 15.000 getötete Soldaten hatte die Rote Armee nach gut neun Jahren Krieg zu beklagen. In den ersten acht Jahren des derzeitigen Einsatzes kamen mehr als 1.500 ausländische Soldaten ums Leben - allerdings wuchs die Zahl mit jedem Jahr, und eine Trendwende ist auf absehbare Zeit nicht zu erwarten. Muzhda sieht trotz der gewaltigen Unterschiede bei den Opferzahlen Parallelen. "Die Russen sahen sich damals einem nationalen Aufstand in den ländlichen Gegenden gegenüber, und das ist, was jetzt passiert." Die ausländischen Truppen hätten versäumt zu erkennen, dass sie mit der Landbevölkerung zusammenarbeiten müssten. Die Aufständischen heute profitierten zudem von der Erfahrung aus dem Widerstand gegen die Sowjets. "Deswegen ist die Lage heute viel gefährlicher als damals gegen die Russen."

Der Ex-Soldat und jetzige Bauarbeiter Munir Ahmad aus Kabul ist nicht gut auf die Sowjets zu sprechen. "Die Kommunisten und Russen", sagt er, seien dafür verantwortlich, dass das Land heute zerstört und ruiniert sei. Dennoch meint Ahmad, unter der sowjetischen Besatzung habe es zumindest keine Selbstmordanschläge in Afghanistan gegeben. Und immerhin hätten die Sowjets - anders als heute die Amerikaner - den Armen geholfen. "Verglichen mit den Amerikanern", sagt Ahmad, "waren die Russen immer noch besser".

dpa