Das komplette Scheitern des UN-Klimagipfels ist gerade noch einmal abgewendet worden. Die Weltklimakonferenz erkannte die Kopenhagen-Vereinbarung von 25 Staaten am Samstag nach einer nächtlichen, chaotischen Marathon-Debatte an. Die Staaten brachten den Kompromissvorschlag offiziell in den weiteren Verhandlungsprozess für das kommende Jahr ein. Damit ist eine Blockade aufgelöst, die durch mehrere Länder wie Sudan, Kuba, Venezuela und Bolivien entstanden war. Jedem Land steht nun frei, die Vereinbarung über Klimaschutzziele anzunehmen oder nicht. Die Delegierten verzichteten darauf, wie sonst üblich über alle Punkte einzeln abzustimmen.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte nur eine gemischte Bilanz des Klimagipfels gezogen. Sie räumte vor ihrem Abflug am frühen Samstagmorgen ein, sie hätte sich weitergehende Schritte gewünscht, aber mit der Vereinbarung ein Scheitern abwenden wollen. US-Präsident Obama erklärte, es sei "noch ein weiter Weg" beim Kampf gegen den Klimawandel zurückzulegen.
Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, hat das Ergebnis der Weltklimakonferenz als "zu wenig und enttäuschend" kritisiert. Damit bleibe Kopenhagen weit hinter dem Ziel zurück, ein Nachfolgeabkommen für das Kyoto-Protokoll zu verabschieden, erklärte Zollitsch in Freiburg: "Hier war mehr drin und ich frage mich, wie zielgerichtet können künftige Großkonferenzen noch arbeiten?" Der Klimawandel sei eine ethische Herausforderung, der sich alle Staaten in Solidarität und Verantwortung für das globale Gemeinwohl stellen müssten, betonte der Erzbischof. Positiv wertete er die Ankündigung, im nächsten Jahr weiter verhandeln zu wollen.
Ban Ki Moon zufrieden
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat die Vereinbarung als "guten Start" bezeichnet. "Endlich haben wir eine Übereinkunft", sagte Ban am Samstag beim Weltklimagipfel. "Mir ist klar, dass viel mehr notwendig sein wird, um den Pfad der Erderwärmung zu verlassen, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung." Die Vereinbarung enthalte die 2-Grad-Zielmarke für die maximale Erderwärmung, Klima-Zusagen mit sofortiger Wirkung und "umfassende Hilfen für die ärmsten Länder". "Die Länder, die beim Kyoto-Protokoll außen vor waren, sind jetzt im Zentrum der Klima-Aktion." Ban räumte ein, dass jetzt ein rechtsverbindlicher Vertrag notwendig ist und es dafür kein Zieldatum gibt. "Wir (die Vereinten Nationen) werden hart arbeiten, um das 2010 zu schaffen." Zu den Turbulenzen beim Weltklimagipfel sagte Ban: "Das war bei weitem der komplizierteste Verhandlungsprozess." Es sei einmalig in der Geschichte der Vereinten Nationen, dass so viele Staats- und Regierungschefs zusammenkamen, um Schritte gegen den Klimawandel zu unternehmen. Sie hätten aber alle unterschiedliche innenpolitische und finanzielle Hintergründe. "Das muss umfassend berücksichtigt werden."
In der Nacht von Freitag auf Samstag hatte es eine Art Putsch-Atmosphäre im Klima-Plenum gegeben: Vermutlich hatte der dänische Regierungschef und Konferenzleiter Lars Løkke Rasmussen befürchtet, dass die nächtliche Plenarsitzung auf dem Kopenhagener Klimagipfel nicht ganz reibungslos verlaufen würde, aber so viel Wut und Empörung einiger Delegierter hatte er wohl nicht erwartet. Nach zwölftägigen zähen Verhandlungen, nach vielen Pannen und organisatorischen Fehlern der Gastgeber endete der Mammut-Gipfel in der Nacht zum Samstag mit einem Eklat.
Vor allem die Delegierten mehrerer Entwicklungsländer machten deutlich, dass ihnen die Art und Weise, wie ihnen die Klimaeinigung präsentiert wurde, absolut nicht passte. Sie hatten das - auch nach Ansicht mancher Beobachter nicht ganz unberechtigte - Gefühl, die Großen und Mächtigen unter der Führung der USA hätten den Deal in den Hinterzimmern des riesigen Kopenhagener "Bella Centers" ausgemacht. Und nun sollten sie den Text nur noch durchwinken.
Der dänische Konferenzpräsident Lars Løkke Rasmussen unterbrach am Samstagmorgen das Abschlussplenum, nachdem er zuvor nicht in der Lage war, einen Verfahrensvorschlag für die Abstimmung über den am Vorabend von 25 Ländern ausgehandelten Klima-Kompromiss vorzulegen.
Ohne Abkommen kein Geld
Er hatte wegen des anhaltenden Widerstands von Ländern wie Sudan, Kuba, Venezuela und Bolivien schon erklärt, die Vereinbarung könne nicht angenommen werden. Großbritanniens Umweltminister Ed Miliband verwies darauf, dass in diesem Fall die von Industriestaaten angebotenen Milliarden-Klimahilfen für Entwicklungs- und Schwellenländer ausbleiben würden.
Die Sitzung wurde unterbrochen, damit die Konferenzleitung den tausenden Delegierten einen neuen Verfahrensvorschlag vorlegen kann. Die Vereinbarung muss im Prinzip per Konsens von allen Teilnehmerländern angenommen werden. Das schließt Ausnahmen etwa in Form von Vorbehaltserklärungen nicht aus.
Rasmussen hatte das Plenum in der Nacht - Stunden nach Bekanntgabe der Einigung - eröffnet und wollte die Leitung wohl offensichtlich schnell an einen Stellvertreter übertragen. Doch dazu kam es nicht. Der Delegierte des kleinen, vom Anstieg des Meerespegel bedrohten Inselstaats Tuvalu bekam die Chance, das Wort zu ergreifen, und er nutzte sie für einen flammenden Appell.
Ian Fry kritisierte das Abkommen schonungslos als Makulatur. Statt einer unverbindlichen Festlegung auf zwei Grad müsse die Staatengemeinschaft festschreiben, dass die Temperatur höchstens 1,5 Grad steigen dürfe, verlangte er. Sonst sei sein Staat dem Untergang geweiht. Die Gelder, die die Industriestaaten den Entwicklungsländern zur Anpassung an den Klimawandel in Aussicht stellten, bezeichnete er unter dem Applaus der Delegierten als "30 Silberlinge, um unser Volk und unsere Zukunft zu verraten".
Konferenzführung überfordert
Kaum hatte er geendet, ergriffen die linksgerichteten Lateinamerikaner das Wort. Die Delegierte von Venezuela sprach von einem "Staatsstreich" gegen den Geist der Vereinten Nationen. Der bolivianische Delegierte schimpfte über die "diktatorische" Weise, wie den Delegierten das Papier nur kurz zur Abstimmung präsentiert worden sei. Ähnlich äußerten sich Kuba und Costa Rica. Bei allen war klar zu spüren, dass sie mit ihren Attacken vor allem die USA meinten.
Als der US-Delegierte zwischendrin versuchte, das Ruder herumzureißen, unterbrach ihn der Delegierte von Nicaragua mit einem Störmanöver und brachte den sichtlich überforderten Rasmussen dazu, ihm das Wort zu erteilen. "So etwas habe ich noch nie gesehen", hörte man immer wieder staunende Beobachter im Kongresszentrum rufen.
Als der ohnehin umstrittene sudanesische Chef-Unterhändler und Sprecher der Entwicklungsländer (G77), Lumumba Stanislaus Di-Aping, erklärte, das Abkommen bedeute den Tod vieler Afrikaner und es mit dem Holocaust verglich, ging ein Raunen durch den Saal. Der britische Delegierte sprach von einem "ekelhaften" Vergleich. Er sprach angesichts der Proteste im Plenum von einer ernsten Krise. Die Delegierten hätten nun die Wahl, ein nicht ganz perfektes Abkommen zu unterstützen oder nach dem Willen des Sudan die Konferenz zugrunde gehen zu lassen. Seine Rede wurde mit langem Applaus bedacht.