TV-Tipp: "Stubbe - Von Fall zu Fall", ZDF
Die "Stubbe"-Fälle sind bekannt dafür, gesellschaftspolitische Themen aufzunehmen. So auch bei "In den Nebel". In der neuen Folge geht es um Alzheimer.
18.12.2009
Von Tilmann P. Gangloff

"Stubbe- Von Fall zu Fall: In den Nebel", Samstag, 19. Dezember, 20.15, ZDF, 20.15 Uhr

Das berührendste Bild dieses Films gibt es ganz am Schluss: Eine Frau sitzt im Wartehäuschen einer Bushaltestelle. Doch sie wartet vergeblich, denn an dieser Haltestelle wird nie ein Bus ankommen: Sie steht auf dem Gelände eines Heims für Menschen mit Alzheimer. Den Kranken ist das Häuschen Sinnbild für eine Perspektive, die sie in Wirklichkeit natürlich gar nicht haben; aber sie gibt ihnen Hoffnung.

Sieht man mal davon ab, dass Ingeborg Westphal (Jahrgang 1951) eine absurd junge Besetzung für diese 74 Jahre alte Frau ist, spielt sie die Rolle großartig. Sorgfältig hat Autorin Astrid Ströher zusammengetragen, was diese Krankheit ausmacht: die wenigen lichten Momente, die Verwirrung im Alltag, die unerschütterlichen Gewissheiten, die in aggressive Wutanfälle münden können; und die erschütternden Augenblicke, wenn Annegret Trautmann vergisst, aufs Klo zu gehen. In den Sechzigern war sie ein zumindest in Hamburg gefeierter Popstar. Heute kann sie sich mitunter noch an die schöne Zeit erinnern; aber den Mann an ihrer Seite erkennt sie nicht. Gut möglich, dass sie ihn für einen Einbrecher gehalten hat: Eines Tages liegt er tot in einer riesigen Blutlache, Annegret ist verschwunden. Als sie später aufgegriffen wird, findet man die Tatwaffe, ein Küchenmesser, in ihrer Handtasche. Ihr Sohn (Thomas Huber) hat allerdings auch ein Motiv, denn er konnte dem Vater nie was Recht machen; die Beziehung war völlig zerrüttet. Der Alte hat ihm stets seine Schwester vorgezogen und war zuletzt überzeugt, der Sohn würde das vorzeitig geerbte Autohaus zugrunde richten.

Natürlich ist die "Stubbe"-Episode "In den Nebel" auch ein Krimi, aber wie schon zuletzt in dem Film "Sonnenwende" geht es um mehr als bloßen Zeitvertreib. Die komödiantischen Elemente, früher ein Markenzeichen der Reihe, sind angesichts des ernsten Themas völlig verschwunden; Wolfgang Stumph agiert ganz zurückgenommen, sein Stubbe ist viel eher Beobachter und Chronist als Ermittler. Zwar gibt es immer noch den Familienstrang – Tochter Christiane (Stephanie Stumph) bekommt einen Job als Pauschalistin bei einer Hamburger Lokalzeitung -, doch selbst diese Ebene dient der Vorbereitung der Auflösung, als sie mitten hinein in einen Fall brutaler häuslicher Gewalt gerät.

In den Redaktionsszenen revanchiert sich das Fernsehen (Regie: Peter Kahane) übrigens für die ständige Kritik der Tageszeitungen: In der Konferenz verbittet sich der Ressortleiter kritische Artikel über wichtige Anzeigenkunden. Also bloß keine Negativberichte über ausbeuterische Discounter, kommentiert ein alter Hase. Im Zentrum der Handlung aber steht die bittere Erkenntnis von Annegrets Angehörigen, dass ein Mensch bei lebendigem Leib Stück für Stück verschwinden kann.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und die "Frankfurter Rundschau" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).