Das "Hotel", in dem Bezahlen ein Kunststück ist
Jeder, der will, kann mitten in Stuttgart umsonst übernachten. Gibt's nicht? Gibt's doch! Im Osten der Stadt hat seit Ende Juli das "Performance Hotel" geöffnet. Jeder Gast, der bereit ist, eine künstlerische Darbietung zu zeigen, darf sich ohne Griff in den Geldbeutel ein lauschiges Plätzchen suchen - auf einer Matratze oder einer Isomatte. Richtig gehört. Der Begriff Hotel sollte hier jedoch keine allzu großen Erwartungen wecken.
18.12.2009
Von Stefanie Sapara

Was der Besucher antrifft, ist eine Art Kunstwerk. Und das soll es auch sein: Susanne Jakob von der Kunstakademie Stuttgart hat ihren Studenten mit dem Haus für ein Jahr einen Projektraum zur Verfügung gestellt, eine Art Basis-Station zum Diskutieren und Üben, wie "Hoteldirektor" Byung Chul Kim erklärt. Die Kosten trägt die Akademie, das Ganze ist Teil des sogenannten Projekts Distrikt Ost: Kunststudenten erkunden den Stuttgarter Osten.

Der 36-jährige Koreaner ist der einzige "feste" Bewohner des Hauses. "Ich habe mich gefragt, wieso ich so etwas Tolles bekomme", erzählt er. Irgendwann hatte er die Antwort: "Weil ich Performer bin. Deshalb sollen andere Menschen, die das Gleiche machen, auch ein Dach über dem Kopf kriegen." Die Idee für den Hotelbetrieb war geboren.

Performance "Zimmermädchen" wohnen umsonst

Das baufällige Haus wurde von Studenten ausgemistet und geputzt, die Fassade von einem Designer mit bunten Landkarten und Kalenderblättern tapeziert. Die wenigen Möbel hat sich Kim zusammengesucht oder von Nachbarn geschenkt bekommen. Besonders stolz ist er auf seinen "Wellnessbereich" im Freien: eine alte Badewanne im zugewachsenen Garten.

Im Erdgeschoss gibt es zwei Performance-Räume, im Obergeschoss ein rosarotes Badezimmer mit Fernseher, eine Küche mit Esstisch und zwei Schlafräume. Und überall: Knarzende, alte Holzdielen. Luxus erwartet den Besucher hier nicht. Aber wer das Haus verlässt, hat auf alle Fälle etwas zu erzählen.

Eine Performance, das kann bei Kim so ziemlich alles sein. Im Sommer organisierte jemand ein Grillfest. Ein Gast las jeden Abend eine Stunde etwas vor. Wenn jemand ratlos ist, findet Byung Chul Kim schnell eine Lösung. "Was kannst du besonders gut?", fragt er dann. Eine Besucherin sagte schlicht: "Putzen." Gesagt, getan. Die Performance "Zimmermädchen" war geboren, der Aufenthalt umsonst. "Alles ist doch irgendwie Kunst", sagt der Koreaner. Allerdings gibt es auch Regeln: Drogen und Betrunkene müssen draußenbleiben. Und: "Wir sind nicht die Sozialhilfe, sondern ein Kunstprojekt."

Kuschelfaktor inbegriffen

Häufig klingelt die Kasse im Hotel nicht. Kim ist es lieber, wenn Gäste etwas vorführen anstatt zu bezahlen. "So kriege ich auch selbst neue Ideen." Wer sich jedoch weigert, zahlt zehn Euro für eine Nacht auf der Matratze oder drei Euro für einen Schlafsack - Kuschelfaktor inbegriffen, denn insgesamt stehen nur zwei Schlafräume zur Verfügung. Einmal waren es 17 Gäste auf einmal. "Das war das Maximum."

Oft steht das Hotel aber leer. Der Mietvertrag läuft noch bis nächsten Sommer. Dann soll das Gebäude abgerissen werden. Kim hofft jedoch, dass er "sein" Hotel doch weiterführen kann. "Man lernt so viele Leute kennen", schwärmt der Künstler. Wer Frühstück möchte, bekommt übrigens auch das. Marmeladenbrot oder Müsli, Kaffee oder Tee: Kim zaubert alles nach Wunsch auf den Tisch - allerdings das dann nur für Geld.

dpa