evangelisch.de: Finanzminister, Pumpgenie, Bundes-Schuldenbeauftragter: Haben Sie eine Theorie, was in Wolfgang Schäuble vorgeht, wenn er mit seinem Haushalt alle Schuldenrekorde bricht und gleichzeitig das sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz gutheißt - inklusive noch mehr Schulden und einer Steuersenkung, die nur Hoteliers gut finden?
Ernst Elitz: Schäuble macht das ziemlich tricky. Er hat in öffentlichen Bekundungen keinen Zweifel daran gelassen, dass er die von der FDP in den Koalitionsvertrag geschriebene Hotel-Betten-Steuerermäßigung für Unsinn hält. Knurrig lässt er erkennen, dass ihm alle Steuergeschenke missfallen und er sie nur exekutiert, weil sie vertraglich vereinbart sind. Damit schafft er sich eine glaubwürdige Ausgangsposition für die Sparrunden der nächsten Jahre. Das heißt: Jetzt hält er sich widerwillig an einen einmal geschlossenen Vertrag, ab 2011 kann er ohne Vertragsknebel ebenso pflichtbewusst den Schuldenabbau durchsetzen. Dieses Bild von Mannhaftigkeit und Verlässlichkeit will er verbreiten. Mit der Ernennung Schäubles zum Finanzminister hat die Kanzlerin sich selbst unter Druck gesetzt: Der Mann fackelt nicht lange. Der droht nicht groß mit Rücktritt, wenn die Kanzlerin seiner Sparpolitik nicht folgt. Der tritt zurück und lässt damit die ganze Regierung wackeln. Davor muss Merkel eine Heidenangst haben. Diesen Maso-Faktor hat sie sich selber bewusst eingebaut, um damit die Koalition zu disziplinieren.
evangelisch.de: Wer wusste wann was: Täglich befeuern neue Details die Debatte über den Kundus-Angriff, gerne auch "Kundus-Affäre" oder gar "Kundus-Skandal" tituliert. Ist die Riesenaufregung gerechtfertigt? Oder sind hier politische Reflexe am Werk - die nebenbei helfen, die brutale Realität eines Krieges, der nicht so heißen darf, auszublenden und eine Diskussion über den Bundeswehreinsatz insgesamt zu vermeiden?
Elitz: Der politische Alltag lebt zu 5o Prozent von Reflexen. In der "Kundus-Affäre" sind die Reflexe stark persönlich geprägt. Guttenberg sauste in den Beliebtheitskurven an allen vorbei nach oben, wurde zum Liebling nicht nur der Schwiegermütter, profilierte sich mit Widerstandsgeist beim Opel-Deal, ist stets gut gekleidet und glänzt mit gutem Benehmen, bekam mehr Talkshow-Einladungen als andere. Endlich kann man ihn klein machen, sagt sich die Opposition, und die Koalitionäre genießen das Schauspiel. Diese zum Teil hämische Reaktion überdeckt die Grundsatzfrage: Dürfen deutsche Soldaten töten? Sollen sie den Feind nur verjagen? Auch wenn er jedes Mal wieder kommt und genau das tut, was Bundeswehr-Soldaten nicht tun sollen: töten und vernichten? Gegen diese Debatte ist das Thema "Wer hat wann wem was gesagt" zweitrangig, und der Aufstand der kleinen Neider verachtenswert.
evangelisch.de: Das dritte große Nachrichtenthema dieser Tage wäre natürlich der Weltklimagipfel. Aber da ja auch noch Weihnachten vor der Tür steht, fragen wir lieber: Gibt es etwas, das Sie hoffnungsvoll stimmt in diesen Tagen?
Elitz: ... dass die Debatte um den Auftrag der Bundeswehr sich jetzt nicht mehr wegwischen lässt und dass sie in den Medien mit größerem Sachverstand geführt wird als im Bundestag, und zwar äußert kontrovers. Die Medien werden diese Debatte nicht erlahmen lassen. Und hoffnungsvoll stimmt mich auch, dass die meisten Bürger die aktuellen Steuergeschenke für abstrus halten. Die Mehrheit der Bürger hat mehr Weitblick als die Regierung. Das könnte uns auch an der Politik verzweifeln lassen. Aber Weihnachten ist nicht das Fest des Zweifels, sondern der Freude.
Prof. Ernst Elitz, Jahrgang 1941, lebt als freier Publizist in Berlin. Nach seinem Studium der Germanistik, Theaterwissenschaften, Politik und Philosophie kam er über Stationen wie den "Spiegel" und das öffentlich-rechtliche Fernsehen zum Deutschlandradio, das er als Gründungsintendant von 1994 bis 2009 leitete.